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Rangordnung.
In der gesamten Welt der Drow gibt es kein wichtigeres Wort. Es ist die Visitenkarte ihrer - unserer - Religion, das unaufhörliche Sehnen tiefster Gefühle. Ehrgeiz unterdrückt den gesunden Menschenverstand, und das Mitleid wird ihm vor die Füße geworfen. Und das alles im Namen von Lloth, der Spinnenkönigin.
Der Aufstieg zur Macht basiert in der Gesellschaft der Drow auf Meuchelmord. Die Spinnenkönigin ist eine Gottheit des Chaos, und sie und ihre Priesterinnen, die wahren Herrscher der Welt der Drow, betrachten ehrgeizige Individuen, die vergiftete Dolche verwenden, nicht mit Mißgunst.
Natürlich gibt es Verhaltensregeln. Jede Gesellschaft muß sie aufweisen. Öffentlich einen Mord zu begehen oder einen Krieg anzuzetteln zieht eine Gerichtsverhandlung nach sich, und die Strafen, die im Namen der Gerechtigkeit der Drow verhängt werden, sind gnadenlos. Einem Rivalen im Tumult einer größeren Schlacht oder in den lautlosen Schatten einer Gasse einen Dolch in den Rücken zu stoßen wird hingegen meistens akzeptiert - wenn nicht sogar gebilligt. Untersuchungen sind nicht die Stärke der Gerichtsbarkeit der Drow. Niemanden kümmert es genug, um sich Gedanken darüber zu machen.
Rangordnungen sind das Mittel der Lloth, der Ehrgeiz, den sie dareinsetzt, das Chaos zu fördern, um ihre Drow»kinder« auf ihrem vereinbarten Kurs der Selbstbegrenzung zu halten. Kinder? Eher Schachfiguren, für die Spinnenkönigin tanzende Puppen, Marionetten auf den kaum wahrnehmbaren, aber undurchlässigen Fäden ihres Netzes. Alle klettern die Leitern der Spinnenkönigin hinauf, alle jagen ihrer Gunst hinterher, und alle fallen den Jägern ihrer Gunst zum Opfer.
Rangordnungen sind der Widersinn der Welt meines Volkes, die Begrenzung unserer Macht innerhalb des Strebens nach Macht. Sie werden durch Verrat gewonnen und bewirken Verrat gegen jene, die sie gewinnen. Diese Mächtigsten in Menzoberranzan verbringen ihre Zeit damit, über ihre Schultern zu sehen, um sich gegen Dolche zu wappnen, die sie in den Rücken treffen könnten.
Ihr Tod kommt üblicherweise von vorn.
Drizzt Do'Urden
Leere Stunden, leere Tage.
Ich stelle fest, daß ich nur wenige Erinnerungen an diesen ersten Abschnitt meines Lebens habe, diese ersten sechzehn Jahre, in denen ich als Diener tätig war. Minuten verschmolzen zu Stunden, Stunden zu Tagen und so weiter, bis alles zusammen wie ein langer und trockener Augenblick erschien. Mehrere Male gelang es mir, auf die Galerie des Hauses Do'Urden hinauszugelangen und über die magischen Lichter von Menzoberranzan hinwegzuschauen. Bei all diesen heimlichen Ausflügen empfand ich Begeisterung wegen des anwachsenden und sich dann zerstreuenden Hitzelichts des Narbondel, der Zeitmessersäule. Im heutigen Rückblick darauf, auf diese langen Stunden, in denen ich beobachtete, wie das Leuchten des magischen Feuers langsam seinen Weg die Säule hinauf und dann wieder hinab nahm, bin ich erstaunt über die Leere meiner frühen Tage.
Ich erinnere mich deutlich an die Begeisterung, meine prickelnde Begeisterung, wann immer ich aus dem Haus gelangte und meinen Posten zur Beobachtung der Säule einnahm. So unbedeutend dieses kleine Abenteuer auch war, so befriedigend war es aber auch im Vergleich zu dem Rest meines Daseins.
Wann immer ich das Knallen einer Peitsche höre, sendet eine andere Erinnerung - mehr ein Gefühl als wirklich eine Erinnerung - Schauer über meinen Rücken. Der schreckenerregende Ruck und die darauffolgende Betäubung durch diese schlangenköpfigen Waffen ist nichts, was irgend jemand schnell vergessen könnte. Sie greifen unter deine Haut und senden Wellen magischer Energie durch deinen Körper, Wellen, die deine Muskeln zucken und sich über die Maßen anspannen lassen.
Dennoch war ich glücklicher dran als die meisten. Meine Schwester Vierna stand kurz vor ihrer Ernennung zur Hohepriesterin, als sie die Aufgabe meiner Erziehung zugewiesen bekam, und befand sich in einer Phase ihres Lebens, in der sie über bei weitem mehr Energie verfügte, als für diese Aufgabe nötig war. Vielleicht war an diesen zehn Jahren unter ihrer Obhut doch mehr, als ich mir jetzt noch in Erinnerung rufen kann. Vierna zeigte niemals die ausgeprägte Bösartigkeit unserer Mutter - oder gar unserer ältesten Schwester Briza. Vielleicht gab es gute Zeiten in der Abgeschiedenheit der Hauskapelle. Möglicherweise zeigte Vierna ihrem Kindbruder gegenüber eher ihre sanfte Seite.
Vielleicht aber auch nicht. Obwohl ich Vierna als die freundlichste meiner Schwestern bezeichne, dringen auch ihre Worte so sicher wie die Worte jeder anderen Priesterin Menzoberranzans in die Venen der Lloth. Es erscheint mir unwahrscheinlich, daß sie ihr Streben nach der Hohepriesterschaft nur für ein Kind, nur für ein männliches Kind, aufgegeben haben sollte.
Ob es in diesen Jahren wirklich auch Freude gegeben hat, unter den unerbittlichen Attacken der Bösartigkeit Menzoberranzans getrübte Freuden, oder ob diese früheste Phase meines Lebens eher noch schmerzerfüllter war als die folgenden Jahre - so schmerzerfüllt, daß mein Geist die Erinnerung verdrängt -, weiß ich nicht mehr genau. Und was alle meine Bemühungen betrifft, so kann ich mich nicht daran erinnern.
Mehr Kenntnis habe ich von den folgenden sechs Jahren, aber die hervorstechendste Erinnerung der Zeit, die ich als Diener des Hofes der Oberin Malice verbrachte, ist - neben den heimlichen Ausflügen außerhalb des Hauses - das Bild meiner eigenen Füße. Ein Prinzenfürst darf niemals seinen Blick heben.
Drizzt Do'Urden
Die Akademie.
Sie ist das Organ zur Verbreitung der Lügen, die die Drowgesellschaft zusammenhalten, der endgültige Vollzug der Unehrlichkeit, die so oft wiederholt wurde, daß sie entgegen jeden gegensätzlichen Beweises wahr klingt. Die Lektionen über Wahrheit und Gerechtigkeit, die die jungen Drow lernen, werden vom täglichen Geschehen im bösen Menzoberranzan so offensichtlich widerlegt, daß es kaum zu verstehen ist, wie irgend jemand sie glauben konnte. Dennoch tun sie es.
Selbst jetzt, nachdem Jahrzehnte vergangen sind, erschreckt mich der Gedanke an diesen Ort, nicht aufgrund physischer Qualen oder der stets gegenwärtigen Bedrohung durch den Tod - ich bin viele Wege gegangen, die auf gleiche Weise ähnlich gefährlich waren. In bezug auf die Akademie von Menzoberranzan erschreckt mich der Gedanke an die Überlebenden, die Absolventen, die - lustvoll - innerhalb des selbsterrichteten Bösen leben, das ihre Welt ausmacht.
Sie leben in dem Glauben, daß alles richtig ist, wenn man damit durchkommt, daß Selbstzufriedenheit der wichtigste Aspekt des Lebens ist und daß Macht nur zu derjenigen oder demjenigen kommt, der stark und listig genug ist, sie sich aus den fehlbaren Händen derer zu nehmen, die sie nicht mehr verdienen.
Für Mitgefühl ist kein Platz in Menzoberranzan, und doch ist es das Mitgefühl und nicht die Angst, das den meisten Völkern Eintracht bringt. Die Eintracht ist es, die bei der Arbeit für gemeinsame Ziele Erhabenheit bewirkt.
Lügen stürzen den Drow in Angst und Mißtrauen und widerlegen Freundschaft an der Spitze eines von Lloth geweihten Schwertes. Der Haß und der Ehrgeiz, die durch diese unmoralischen Ansichten begünstigt werden, sind der Fluch meines Volkes, eine Schwäche, die sie für Stärke halten. Das Ergebnis ist ein lähmendes paranoides Dasein, das von den Drow Bereitschaft genannt wird.
Ich weiß nicht, wie ich die Akademie überlebt habe, warum ich die Unehrlichkeiten früh genug erkannt habe, um sie gegenteilig zu gebrauchen und damit jene Ideale zu stärken, die ich am meisten schätze.
Es war vermutlich Zaknafein, mein Lehrer: Durch die Erfahrungen seines Lebens, die ihn verbittert und soviel von ihm abverlangt hatten, habe ich gelernt, die Schreie zu hören: Die Schreie des Protests gegen mörderischen Verrat, die Schreie des Zorns der Führer der Drowgesellschaft, der Hohepriesterinnen der Spinnenkönigin, die auf den Wegen meines Bewußtseins widerhallen und auf ewig in meinem Bewußtsein bleiben werden. Die Schreie sterbender Kinder.
Drizzt Do'Urden
Welch Augen sind dies,
Die Qual in meiner innersten Seele zu sehen?
Welch Augen sind dies,
Die verworrenen Schritte meiner Verwandten zu sehen,
Die auf den Spuren ungezügelter Liebhabereien geführt werden:
Pfeil, Bolzen und Schwertspitze?
Euer... ja, Euer
Gerader Lauf und kraftvoller Sprung,
Weich auf tappenden Pranken, eingezogene Krallen,
Waffen, die bis zum Gebrauch ruhen
Und nicht von leichtsinnig vergeudetem Blut befleckt sind
Oder von mörderischer Hinterlist.
Von Angesicht zu Angesicht, mein Spiegel,
Reflexion in einem stillen Teich durch das Licht.
Ach, könnte ich doch dieses Bild bewahren
Auf diesem meinem eigenen Gesicht.
Ach, könnte ich doch dieses Herz bewahren
In meiner unverdorbenen Brust.
Haltet fest an dem stolzen Ansehen Eures Geistes,
mächtiger Guenhwyvar,
Und bleibt fest an meiner Seite,
Mein treuester Freund.
Drizzt Do'Urden
Zaknafein Do'Urden: Mentor, Lehrer, Freund. Ich habe ihn, in dem blinden Schmerz meiner eigenen Frustrationen, mehr als einmal als nichts davon erkannt. Habe ich mehr von ihm gefordert, als er geben konnte? Habe ich Perfektion von einer gequälten Seele erwartet, Zaknafein nach Maßstäben beurteilt, die jenseits seiner Erfahrungen lagen oder nach Maßstäben, die angesichts seiner Erfahrungen unmöglich gewesen waren?
Ich könnte er gewesen sein. Ich hätte leben können, gefangen in der hilflosen Wut, begraben unter der täglichen Bedrohung durch die Boshaftigkeit, die Menzoberranzan ausmacht und dem alles durchdringenden Bösen, das meine Familie ausmacht, um niemals im Leben einen Ausweg zu finden.
Es scheint eine logische Ausnahme, daß wir aus den Fehlern unserer Vorfahren lernen. Das, so denke ich, war meine Rettung. Ohne das Beispiel Zaknafeins hätte auch ich keinen Ausweg gefunden - nicht im Leben.
Ist dieser Weg, den ich gewählt habe, ein besserer als das Leben, das Zaknafein kannte? Ich glaube ja, obwohl ich oft genug und manchmal auch zu lange auf diesem Weg verzweifelt bin. Es hätte leichter sein können: Die Wahrheit ist jedoch nichts angesichts der Selbstfalschheit, und Prinzipien haben keinen Wert, wenn der Idealist nicht nach seinen eigenen Maßstäben leben kann. Dieses ist dann ein besserer Weg. Ich lebe mit großer Trauer um mein Volk und um mich selbst, aber am meisten um den Waffenmeister, der nun für mich verloren ist, der mir zeigte, wie - und warum - man eine Waffe benutzt.
Es gibt keine größere Qual als diese. Nicht durch den Schnitt eines gezackten Dolches noch durch das Feuer eines Drachenatems. Nichts brennt in Eurem Herzen mehr als die Leere nach dem Verlust einer Sache, eines Menschen, bevor man seinen Wert wirklich erkannt hat. Oft erhebe ich nun mein Glas zu einem stillen Trinkspruch, einer Entschuldigung, die für Ohren bestimmt ist, die nicht hören können:
Für Zak, der meinen Mut angespornt hat.
Drizzt Do'Urden
Ich erinnere mich noch lebhaft an den Tag, an dem ich die Stadt meiner Geburt und mein Volk verließ. Das ganze Unterreich, ein Leben voller Abenteuer und Spannung lagen vor mir - mit Möglichkeiten, die mein Herz jubeln ließen. Doch mehr als dies verließ ich Menzoberranzan in dem Glauben, daß ich nun mein Leben gemäß meinen Prinzipien leben könnte. Guenhwyvar war an meiner Seite, und ich hatte meine Krummsäbel um meine Hüften gegurtet. Ich selbst konnte meine Zukunft bestimmen.
Doch dieser Dunkelelf, der junge Drizzt Do'Urden, der, kaum in der vierten Dekade seines Lebens, an jenem schicksalhaften Tag Menzoberranzan verließ, vermochte nicht einmal ansatzweise die Wahrheit der Zeit zu erfassen und zu begreifen, wie ihr Verlauf sich zu verlangsamen schien, wenn die Augenblicke nicht mit anderen geteilt wurden. In meinem jugendlichen Überschwang freute ich mich auf ein Jahrhunderte währendes Leben.
Wie aber mißt man Jahrhunderte, wenn eine einzige Stunde ein Tag zu sein scheint und ein einziger Tag ein Jahr?
Jenseits der Städte des Unterreiches gibt es Nahrung für die, die wissen, wie man sie findet, und Sicherheit für die, die sich zu verbergen wissen. Mehr als alles andere jedoch ist jenseits der bevölkerten Städte des Unterreiches Einsamkeit.
Als ich eine Kreatur der leeren Tunnel wurde, wurde das Überleben leichter und schwerer zugleich. Ich eignete mir die zum Leben notwendigen körperlichen Fähigkeiten an und machte wertvolle Erfahrungen. Ich war in der Lage, fast alles zu besiegen, was in die von mir auserwählte Domäne eindrang, und vor den wenigen Monstern, die ich nicht bezwingen konnte, konnte ich sicher fliehen oder mich verbergen. Es dauerte jedoch nicht lange, bis ich entdeckte, daß es eine Nemesis gab, vor der ich nicht fliehen und die ich auch nicht besiegen konnte. Sie folgte mir, wohin ich auch ging, und in der Tat - je weiter ich lief, desto mehr umschloß sie mich. Mein Feind war die Einsamkeit, das endlose, unaufhörliche Schweigen der abgelegenen Korridore.
Schaue ich jetzt, Jahre später darauf zurück, bin ich erstaunt und bestürzt über die Veränderungen, die ich durch dieses Leben erfuhr. Die Identität jedes vernunftbegabten Wesens wird durch die Sprache festgelegt, durch die Kommunikation zwischen diesem Wesen und den anderen, die mit ihm leben. Ohne dieses Bindeglied war ich verloren. Als ich Menzoberranzan verließ, war ich entschlossen, mein Leben auf Prinzipien und meine Kraft auf unbeugsame Überzeugungen zu gründen. Doch nach nur wenigen Monaten allein im Unterreich war der einzige Zweck meines Daseins das Überleben. Ich war zu einer allein vom Instinkt beherrschten Kreatur geworden, berechnend und verschlagen, aber nicht denkend. Ich benutzte meinen Verstand nur dazu, den nächsten tödlichen Kampf auszutragen.
Ich glaube, daß Guenhwyvar mich rettete. Derselbe Gefährte, der mich unzählige Male aus den Klauen von Monstern vor dem sicheren Tode errettet hatte, bewahrte mich vor einem Tod der Leere - weniger dramatisch vielleicht, doch nicht weniger schicksalhaft. Ich stellte fest, daß ich für die Augenblicke lebte, in denen die Katze an meiner Seite ging und ein anderes lebendes Geschöpf meine Worte hören konnte, so schwer sie mir auch fielen. Und zudem war Guenhwyvar meine Uhr geworden, da ich wußte, daß die Katze jeden zweiten Tag für einen halben Tag von der Astralebene zu mir kommen konnte. Erst nachdem meine Tortur beendet war, begriff ich, wie kritisch dieses Viertel meiner Zeit tatsächlich war. Ohne Guenhwyvar hätte ich nicht die Entschlossenheit zum Weitermachen gefunden. Niemals hätte ich die Kraft zum Überleben bewahrt.
Und selbst wenn Guenhwyvar an meiner Seite war, merkte ich, daß ich dem Kampf immer ambivalenter gegenüberstand. Ich hoffte heimlich, ein Bewohner des Unterreiches würde sich als stärker erweisen, als ich es war. Konnte der Schmerz eines Zahnes oder einer Kralle größer sein als die Leere und die Stille?
Ich glaube nicht.
Drizzt Do'Urden
Freundschaft: Dieses Wort hat bei den mannigfachen Rassen und Kulturen sowohl des Unterreichs wie denen an der Oberfläche viele verschiedene Bedeutungen gewonnen. In Menzoberranzan wird Freundschaft im allgemeinen aus beiderseitigem Vorteil geboren. Solange beide von dieser Gemeinschaft profitieren, ist sie gefestigt. Aber Loyalität ist keine Regel im Elfenleben, und sobald ein Freund glaubt, daß er ohne den anderen mehr gewinnen wird, wird die Gemeinschaft - und wahrscheinlich das Leben des anderen - zu einem schnellen Ende kommen.
Ich habe in meinem Leben wenige Freunde gehabt, und selbst wenn ich tausend Jahre leben sollte, so glaube ich, daß dies wahr bleiben wird. Aber dies soll beileibe keine Klage sein, denn diejenigen, die mich Freund genannt haben, waren Personen mit Charakter, und sie haben meine Existenz bereichert, ihr Wert gegeben. Da war zuerst Zaknafein, mein Vater und Mentor, der mir zeigte, daß ich nicht allein war und daß ich nicht falsch handelte, wenn ich an meinen Überzeugungen festhielt. Zaknafein rettete mich vor dem Schwert und vor der chaotischen, bösen und fanatischen Religion, die mein Volk verdammt.
Doch ich war nicht weniger verloren, als ein handloser Tiefengnom in mein Leben trat, ein Svirfneblin, den ich viele Jahre zuvor vor dem sicheren Tod und vor der gnadenlosen Klinge meines Bruders Dinin gerettet hatte. Meine Tat wurde mir voll vergolten, denn als der Svirfneblin und ich uns wiederbegegneten - dieses Mal war ich in der Gewalt seines Volkes -, wäre ich getötet worden, wenn da nicht Belwar Dissengulp gewesen wäre.
Meine Zeit in Blingdenstone, der Stadt der Tiefengnome, war nur eine kurze Spanne in meinem Leben. Ich erinnere mich gut an Belwars Stadt und sein Volk und werde das immer tun. Ihre Gesellschaft war die erste, die ich kennenlernte, die sich auf die Kraft der Gemeinschaft gründet, nicht auf den Wahnsinn egoistischen Strebens. Gemeinsam überleben die Tiefengnome gegen die Gefahren des feindseligen Unterreichs, schinden sich endlos bei ihrem mühsamen Erzabbau und spielen Spiele, die schwer von jedem anderen Aspekt ihres reichen Lebens unterscheidbar sind.
Größer sind geteilte Freuden.
Drizzt Do'Urden
Leben oder Überleben? Bevor ich ein zweites Mal in die Wildnis des Unterreichs aufbrach, nach meinem Aufenthalt in Blingdenstone, hätte ich die Bedeutung einer so einfachen Frage nicht verstanden.
Als ich Menzoberranzan zum ersten Mal verließ, glaubte ich, Überleben sei genug. Ich glaubte, nach meinen Prinzipien leben zu können, damit zufrieden und dem einzigen mir offenstehenden Weg gefolgt zu sein. Die Alternative war die harsche Wirklichkeit von Menzoberranzan und damit die Unterwürfigkeit unter das Böse, nach dem mein Volk lebte. Wenn dies das Leben war, so glaubte ich, wäre dem einfaches Überleben vorzuziehen.
Und doch brachte mich dieses »einfache Überleben« fast um. Schlimmer noch, es stahl mir fast alles, was ich liebte.
Die Svirfneblin von Blingdenstone zeigten mir einen anderen Weg. Die Gesellschaft der Svirfneblin, die sich auf gemeinsame Werte und Einheit gründete und von diesen genährt wurde, erwies sich als das, von dem ich immer gehofft hatte, was Menzoberranzan sein könnte. Die Svirfneblin taten viel mehr, als nur zu überleben. Sie lebten und lachten und arbeiteten, und was sie gewannen, teilten sie miteinander ebenso wie den Schmerz über die Verluste, die sie unausweichlich in dieser feindseligen unterirdischen Welt erlitten.
Freude vervielfacht sich, wenn sie mit Freunden geteilt wird, doch Leid schwindet mit jeder Teilung. Das ist das Leben.
Und so ging ich mit Hoffnung zurück in die einsamen Höhlen des leeren Unterreichs. An meiner Seite ging Belwar, mein neuer Freund, und in meiner Tasche begleitete mich die magische Figurine, die Guenhwyvar zu beschwören vermochte, mein verläßlicher Freund. Während meines kurzen Aufenthaltes bei den Tiefengnomen war ich Zeuge jenes Lebens gewesen, das ich mir immer gewünscht hatte - ich konnte nicht mehr nur noch überleben.
Mit meinen Freunden neben mir wagte ich zu hoffen, daß ich das nicht mußte.
Drizzt Do'Urden
Es hat viele Zeiten in meinem Leben gegeben, in denen ich mich hilflos fühlte. Es ist vielleicht der größte Schmerz, den eine Person empfinden kann, begründet in Scheitern und zügelloser Wut. Der Schlag eines Schwertes auf den Arm eines kämpfenden Soldaten ist nicht mit den Qualen zu vergleichen, die ein Gefangener beim Knall einer Peitsche erleidet. Selbst wenn die Peitsche den Körper des hilflosen Gefangenen nicht trifft, schneidet sie doch sicher tief in seine Seele.
Irgendwann in unserem Leben sind wir alle einmal Gefangene, Gefangene unserer selbst oder der Erwartungen derer, die um uns sind. Es ist eine Last, die alle ertragen müssen, die alle verachten und der nur wenige zu entrinnen lernen. Ich betrachte mich in dieser Hinsicht als glücklich, da mein Leben sich stetig verbesserte. In Menzoberranzan, unter der unerbittlichen Grausamkeit der Hohepriesterinnen der teuflischen Spinnenkönigin, hoffte ich, daß sich meine Situation nur verbessern konnte.
In meinem jugendlichen Eigensinn glaubte ich, allein bestehen zu können und stark genug zu sein, um meine Feinde mit dem Schwert und Prinzipien bezwingen zu können. Arroganz überzeugte mich, daß ich mit reiner Entschlossenheit selbst Hilflosigkeit überwinden könne. Eigensinnig und töricht ist die Jugend - das muß ich zugeben. Wenn ich heute auf diese Jahre zurückschaue, sehe ich völlig klar, daß ich selten allein gestanden habe. Immer waren da wahre Freunde, die mich selbst dann unterstützten, wenn ich es nicht wollte, und sogar dann, wenn ich es nicht erkannte. Zaknafein, Belwar, Clacker, Mooshie, Bruenor, Regis, Cattibrie, Wulfgar und, natürlich, Guenhwyvar, mein lieber Guenhwyvar. Dies waren die Gefährten, die meine Prinzipien rechtfertigten, die mir die Kraft gaben, mich weiter gegen jeden Feind zu stellen, gleich ob er wirklich oder nur imaginär war. Dies waren die Gefährten, die die Hilflosigkeit, die Wut und die Enttäuschung bekämpften.
Dies waren die Freunde, die mir mein Leben gaben.
Drizzt Do'Urden
Geist. Er kann nicht gebrochen und er kann nicht gestohlen werden. Ein Opfer wird unter Qualen der Verzweiflung vielleicht anders empfinden, und sicherlich wird der »Herr« dieses Opfers dies nur zu gern glauben. Aber in Wahrheit bleibt der Geist, begraben zwar, niemals aber völlig beseitigt.
Das ist die falsche Annahme bei Zin-carla und die Gefahr, etwas zu beleben, das so empfindungsfähig ist. Wie ich gelernt habe, erklären die Priesterinnen es zum größten Geschenk der Spinnenkönigin, die die Dunkelelfen beherrscht. Ich halte es nicht dafür. Es wäre besser, Zin-carla als die größte Lüge von Lloth zu bezeichnen.
Die physischen Kräfte eines Körpers können nicht von der logischen Grundlage des Verstandes und den Emotionen des Herzens getrennt werden. Sie sind ein und dasselbe, die Kompilation eines einzigen Wesens. In der Harmonie dieser drei - Körper, Verstand und Herz - finden wir Geist.
Wie viele Tyrannen haben es versucht? Wie viele Herrscher haben danach getrachtet, ihre Untertanen in gedankenlose Instrumente von Profit und Gewinn zu verwandeln? Sie stehlen die Liebe und die Religionen ihres Volkes. Sie versuchen, den Geist zu stehlen.
Aber am Ende scheitern sie unausweichlich. Das muß ich glauben. Wenn die Flamme des Geistes erschöpft ist, gibt es nur Tod, und der Tyrann findet keinen Gewinn in einem Königreich, das mit Leichen übersät ist.
Doch die Flamme des Geistes ist ein unverwüstliches Ding, unbezwingbar und immer brennend. In manchen zumindest überlebt sie, bis der Tyrann untergeh t.
Wo aber war dann Zaknafein, mein Vater, als er sich auf den Weg machte, mich zu vernichten? Wo war ich in den Jahren, die ich allein in der Wildnis verbrachte, als dieser Jäger, der ich geworden war, mein Schwert führte, obwohl ich anders wollte?
Wir beide waren immer da, sollte ich erfahren, begraben, aber nie gestohlen.
Geist. In den Sprachen aller Völker, ob an der Oberfläche oder im Unterreich, zu jeder Zeit und an jedem Ort klingt dieses Wort nach Kraft und Entschlossenheit. Der Geist ist die Stärke des Helden, die Unverwüstlichkeit der Mutter und die Rüstung des armen Mannes. Er kann nicht gebrochen und er kann nicht genommen werden.
Dies muß ich glauben.
Drizzt Do'Urden
Es brannte mir in den Augen und peinigte jeden meiner Körperteile. Es hat meinen piwafwi und meine Schuhe zerstört, den Zauber meiner Rüstung genommen und meine treuen Krummschwerter geschwächt. Und trotzdem saß ich jeden Tag ohne Unterlaß auf meinem Ausguck, dem Platz, der über mein Schicksal entschied, und wartete auf den Sonnenaufgang.
Der Widerspruch offenbarte sich jeden Tag aufs neue. Das Brennen konnte nicht geleugnet werden, aber ich konnte mich auch nicht der Schönheit dieses Spektakels entziehen. Die Farbtöne, kurz bevor die Sonne aufging, nahmen meine Seele auf eine Art und Weise gefangen, wie es den Mustern der ausströmenden Hitze im Unterreich niemals gelungen ist. Zuerst dachte ich, daß meine Verzückung daher kam, daß mir das Schauspiel so fremd war, aber selbst jetzt, viele Jahre später, spüre ich, wie mein Herz einen Sprung macht, wenn das schwache Leuchten sichtbar wird, das den Sonnenaufgang ankündigt.
Ich weiß, daß die Zeit, die ich in der Sonne verbracht habe - mein tägliches Los -, mehr war als der Wunsch, mich an die Gegebenheiten der Oberwelt anzupassen. Die Sonne wurde zum Symbol für den Unterschied zwischen dem Unterreich und meiner neuen Heimat.
Die Gesellschaft, vor der ich geflohen war, eine Welt der geheimen Abmachungen und verräterischen Verschwörungen, konnte in der Weite und im Tageslicht nicht existieren.
Trotz aller Qualen, die sie mir physisch zufügte, wurde diese Sonne für mich zum Zeichen meiner Absage an die andere, dunklere Welt. Diese Strahlen, die alles bloßlegen, bestärkten mich in meinen Prinzipien, auch wenn sie meine von den Dunkelelfen gefertigten Zaubergegenstände schwächten.
Im Sonnenlicht war der piwafwi, der Schutzumhang, der wachsame Augen überlistete, der Stoff der Diebe und Mörder, nicht mehr als ein wertloser Stoffetzen.
Drizzt Do'Urden
Gibt es irgend etwas auf dieser Welt, das schwerer zu tragen ist als Schuld? Diese Last habe ich oftmals gespürt, habe sie bei vielen Schritten, auf langen Straßen mit mir herumgetragen.
Schuld ähnelt einem Schwert mit zwei Kanten. Auf der einen Seite schlägt es für Gerechtigkeit und erlegt jenen praktische Moral auf, die sie fürchten. Schuld, die Folge von Gewissen, ist das, was die guten von den bösen Personen trennt. In einer vielversprechenden Situation können die meisten Dunkelelfen einen anderen Drow töten; ob es sich dabei um einen Verwandten handelt oder nicht, spielt keine Rolle, und er würde hinterher ohne emotionale Befangenheit davonlaufen. Der Dunkelelfmörder fürchtet sich eventuell vor der Vergeltung, aber sein Opfer würde er nie beweinen.
Bei den Menschen - oder Oberflächenelfen und allen anderen guten Rassen - übertrifft das schlechte Gewissen gewöhnlich alle äußerlichen Bedrohungen. Manche kommen zu dem Ergebnis, daß Schuld - Gewissen - der Hauptunterschied zwischen den vielen Rassen der Reiche ist. In dieser Hinsicht muß Schuld als positive Kraft gewertet werden.
Aber dieses schwerwiegende Gefühl hat auch noch eine andere Seite. Gewissen beruht nicht immer auf einem rationalen Werturteil. Schuld ist immer eine selbstauferlegte Bürde, die nicht immer ihre Berechtigung hat. Und so war es auch für mich auf der Straße von Menzoberranzan zum Eiswindtal. Ich verließ Menzoberranzan mit einem Schuldgefühl meinem Vater, Zaknafein, gegenüber, der sich um meinetwillen geopfert hat. In Blindgenstone mußte ich mich mit Schuldgefühlen für Belwar Dissengulp, dem Svirfneblin, auseinandersetzen, den mein Bruder zum Krüppel gemacht hatte. Und auf vielen Straßen tauchten andere Schuldgefühle auf: Clacker, der von dem Monster getötet wurde, das mich jagte; die Gnolle, die ich eigenhändig abgeschlachtet hatte; und die Bauern, diese einfache Farmerfamilie, die von dem Bargestwelpen ermordet worden waren, was mich am meisten schmerzte.
Verstandesmäßig wußte ich, daß ich nicht schuldig war, daß ich keinen Einfluß auf die Taten hatte, und in manchen Fällen, wie bei den Gnollen, habe ich richtig gehandelt. Aber der Verstand ist keine große Hilfe gegen schwere Schuldgefühle.
Irgendwann, unterstützt durch das Vertrauen meiner treuen Freunde, konnte ich all diese Bürden abwerfen. Doch andere trage ich noch mit mir herum, und das wird auch immer so sein. Ich akzeptiere das als unausweichlich und hoffe, daß diese Last mich bei meinen künftigen Schritten leitet.
Das, glaube ich, ist der wahre Zweck des Gewissens.
Drizzt Do'Urden
Bei allen Völkern der Welt gibt es nichts, was so sehr außer Reichweite und dabei doch so persönlich und beherrschend ist wie die Vorstellung von Gott. In meiner Heimat wurde ich wenig an diese übernatürlichen Wesen herangeführt, weil das über den Einflußbereich der widerlichen Drow-Gottheit, Lloth, die Spinnenkönigin, hinausgegangen wäre.
Nachdem ich Zeuge von Lloths blutrünstigen Taten geworden war, war ich nicht mehr so schnell bereit, den Begriff Gottheit zu akzeptieren. Ich wehrte mich auch gegen jedes andere Wesen, das einen Herrschaftsanspruch ausüben wollte und Verhaltensregeln und Grundsätze, auf denen eine ganze Gesellschaft aufgebaut war, aufstellte. Ist Moral denn nicht eine innere Kraft, und wenn dem so sein sollte, müssen Regeln dann diktiert oder freiwillig von Herzen befolgt werden?
Außerdem ist das Thema Götter als solches noch zu hinterfragen: Sind diese besagten Götter wirkliche Wesen, oder manifestiert sich in ihnen ein Glaube, der von vielen geteilt wird? Sind die Dunkelelfen böse, weil sie den Regeln der Spinnenkönigin folgen, oder ist Lloth die Kulmination des niedrigen Verhaltens der Dunkelelfen, was für sie ganz natürlich ist?
Und wenn die Barbaren aus dem Eiswindtal über die Tundra stürmen, um in den Krieg zu ziehen, und dabei den Namen von Tempus, dem Fürsten der Schlachten, ausrufen, befolgen sie dann Tempus´ Regeln, oder ist Tempus nur ein Name, mit dem sie ihre Taten verbrämen?
All das kann ich nicht beantworten, und ich habe auch festgestellt, daß kein anderer, egal, wie lautstark er - ganz besonders die Priester bestimmter Gottheiten - sich dafür ausspricht, eine Antwort geben kann. Im Endeffekt ist die Wahl des Gottes eine ganz persönliche, sehr zum Leidwesen des Gläubigen, und die Orientierung an einem Wesen kann nur stattfinden, wenn es mit den verinnerlichten Prinzipien zusammenpaßt. Ein Missionar mag ein Volk mit Zwang und Tricks zur Ausübung des Glaubens zwingen, aber kein rationales Wesen kann den Geboten einer Gottheit folgen, wenn diese Regeln den eigenen Vorstellungen zuwiderlaufen. Und ich, Drizzt Do´Urden, und auch mein Vater Zaknafein konnten nie Schüler der Sonnenkönigin werden. Und Wulfgar aus dem Eiswindtal, mein Freund in späteren Jahren, wird diesem Gott, Tempus genannt, nicht gerecht, obwohl er wahrscheinlich immer noch den Kampfgott lautstark anruft, wenn er hin und wieder seinen schweren Kriegshammer einsetzt.
In den Reichen gibt es viele und unterschiedliche Götter - oder vielleicht gibt es auch nur viele unterschiedliche Namen und Identitäten, die zu ein und demselben Wesen gehören.
Ich weiß nicht, um welches es sich dabei handelt, und es ist mir auch egal.
Drizzt Do'Urden
Jetzt betrachte ich meine lange Reise als eine Suche nach Wahrheit - Wahrheit in meinem Herzen, in der Welt, in der ich lebe, und in den beiden großen Bereichen - im Zweck und in der Existenz. Wie definiert man gut und böse?
Auf meinem Weg trug ich eine eigene, innere Moralvorstellung mit mir herum, doch ob ich damit schon geboren worden bin oder ob sie mir durch Zaknafein vermittelt worden ist - oder eher auf meinen Erkenntnissen beruht -, werde ich wohl niemals wissen. Diese Vorstellungen haben mich gezwungen, Menzoberranzan zu verlassen, denn obwohl ich nicht sicher wußte, wie die Wahrheiten aussahen, wußte ich doch zweifellos, daß ich sie nicht im Herrschaftsgebiet von Lloth finden würde.
In den vielen Jahren, die ich außerhalb von Menzoberranzan im Unterreich verbracht habe, und nach meinen ersten, schrecklichen Erlebnissen auf der Oberflächenwelt kam ich an einen Punkt, an dem ich eine allgemeingültige Wahrheit bezweifelte, und ich fragte mich auch, ob das Leben überhaupt einen Sinn hatte. In der Welt der Dunkelelfen ist Ehrgeiz der einzige Lebenszweck, wenn man von der Suche nach, materiellem Zuwachs der mit einer höheren Stufe in der Hierarchie einhergeht, einmal absieht. Aber auch das schien mir gering zu sein, und deshalb konnte ich es nicht als Grundlage einer Existenz begreifen.
Ich danke Euch, Montolio DeBrouchee, daß ihr meinen Verdacht bestätigt habt. Ich habe erfahren, daß der Ehrgeiz derjenigen, die nur ihrem Egoismus folgen, nicht mehr als Chaos und Verschwendungssucht ist, ein endliches Ziel, auf das unendlicher Verlust folgt. Denn im Universum existiert tatsächlich eine Harmonie, ein Zusammenarbeiten für das allgemeine Wohl. Um sich diesem Ziel anzuschließen, muß man eine innere Harmonie und den Schlüssel finden, der Wahrheit ermöglicht.
Und dann ist da noch ein Punkt, den man in bezug auf Wahrheit erwähnen muß: Die Bösen werden diese Harmonie niemals finden.
Drizzt Do'Urden
Wie anders war doch der Weg, den ich vor mir hatte, als ich Mooshies Wäldchen verließ, als die Straße, die mich dorthin geführt hatte. Wieder einmal war ich allein, wenn ich Guenhwyvar nicht an meine Seite rief. Doch auf dieser Straße war ich nur nach außen hin allein. Im Geiste trug ich einen Namen, die Verkörperung meiner wertvollen Prinzipien. Mooshie hatte Mielikki eine Göttin genannt, für mich war sie eine Lebenseinstellung.
Sie begleitete mich auf den vielen Straßen auf der Oberflächenwelt, die ich abwanderte. Sie führte mich in die Sicherheit und bekämpfte meine Verzweiflung, wenn ich verjagt und von den Zwergen der Zitadelle Adbar gehetzt wurde. Adbar war eine Festung, die nordöstlich von Mooshies Wäldchen lag. Mielikki und der Glaube an meine eigenen Werte gaben mir den Mut, mich einer Stadt nach der anderen im Nordland zu nähern. Die Begrüßung war immer gleich: Schrecken und Angst, die sich blitzschnell in Wut verwandelten. Diejenigen, denen ich begegnete und die etwas offenherziger waren, sagten mir, daß ich verschwinden sollte; andere verscheuchten mich mit erhobenen Waffen. Zweimal war ich gezwungen, zu kämpfen, obwohl mir die Flucht gelang, ohne daß jemand schwer verletzt wurde.
Die kleinen Abschürfungen und Kratzer waren ein kleiner Preis, den ich zu bezahlen hatte. Mooshie hatte mich gebeten, nicht so wie er zu leben, und die Voraussage des alten Waldläufers hatte sich - wie immer - bewahrheitet. Auf meinen Reisen durch das Nordland fand ich etwas - Hoffnung? - was ich nie gefunden hätte, wenn ich in der Abgeschiedenheit des Wäldchens geblieben wäre. Wann immer sich wieder ein Dorf am Horizont abzeichnete, beflügelte mich ein Hauch von Erwartung und beschleunigte meine Schritte. Eines Tages, dessen war ich mir sicher, würde man mich akzeptieren, und dann fand ich ein Zuhause.
Ich stellte mir vor, daß das ganz plötzlich geschehen würde. Ich würde vor einem Tor stehen, ein höfliches Grußwort aussprechen und mich als Dunkelelf zu erkennen geben. Aber selbst in meiner Phantasie ließ ich mich von der Realität beeinflussen, denn das Tor in meinen Träumen ging nicht weit auf, wenn ich näher kam. Dennoch gewährte man mir unter Bewachung Einfluß und eine Probezeit, wie damals in Blingdenstone, der Stadt der Svirfneblin. Viele Monate würde man mich mißtrauisch beobachten, aber schließlich würden sie meine Prinzipien erkennen und sie als das einordnen, was sie waren. Der Charakter einer Person würde mehr Gewicht haben als ihre Hautfarbe und der Ruf ihrer Ahnen.
Dieses phantastische Bild ging mir in den folgenden Jahren immer wieder durch den Kopf. Jedes Wort einer jeden Begegnung in meiner Traumstadt war wie eine Litanei gegen die fortwährende Ablehnung. Das reichte natürlich nicht, aber da war ja noch Guenhwyvar, und jetzt gab es auch noch Mielikki.
Drizzt Do'Urden
Von all den Rassen, die in den Reichen bekannt sind, ist keine verwirrender oder verwirrter als die der Menschen. Mooshie hat mich davon überzeugt, daß Götter eher die Personifizierung dessen sind, was in unseren Herzen liegt, als äußere Gottwesen. Wenn das wahr sein sollte, dann offenbaren die vielen, unterschiedlichen Götter der menschlichen Sekten - Götter, die ganz unterschiedliche Haltungen fordern - einiges über die Rasse.
Wenn man sich einem Halbling, einem Elf oder irgendeinem Mitglied einer anderen Rasse nähert, egal, ob gut oder schlecht, dann hat man eine gewisse Vorstellung von dem, was man erwarten kann. Natürlich gibt es auch Ausnahmen; ich selbst bin eine! Aber man kann davon ausgehen, daß ein Zwerg barsch, aber gerecht ist, und ich habe nie einen Elf getroffen oder von einem gehört, der eine Höhle dem freien Himmelszelt vorgezogen hätte. Doch die Vorliebe des Menschen ist es, sich selbst kennenzulernen, falls ihm das gelingen kann.
Und wenn es dann um Gut und Böse geht, muß die menschliche Rasse mit weitaus mehr Sorgfalt betrachtet und erst dann ein Urteil über sie gefällt werden. Ich habe mit bösartigen, menschlichen Mördern gekämpft, Menschenzauberer beobachtet, die so sehr in ihre Macht verstrickt waren, daß sie alle anderen Wesen, die ihre Wege kreuzten, gnadenlos zerstört haben. Und ich habe Städte gesehen, wo Gruppen von Menschen die Unglücklichen ihrer eigenen Rasse ausraubten, obwohl sie selbst in königlichen Palästen lebten, während andere, Frauen, Männer und Kinder, verhungerten und in den verschlammten Gossen starben. Aber ich habe auch andere Exemplare der Menschlichkeit kennengelernt - Catti-brie, Mooshie, Wulfgar, Agorwal von Termalaine -, deren Ehrenhaftigkeit nicht in Frage gestellt werden konnte und deren Beitrag zu dem Guten, das es in den Reichen gibt, groß war. In der Kürze ihres Lebens haben sie mehr geleistet als viele Zwerge und Elfen, die ein halbes Jahrtausend leben oder sogar noch älter werden.
Die Menschen sind in der Tat eine verwirrende Rasse, und das Schicksal der Welt gerät immer mehr in ihre weitreichenden Hände. Vielleicht wird es sich herausstellen, daß das ein eigenwilliger Balanceakt ist, aber sicherlich ist er nicht langweilig. Menschen haben ein wesentlich breiteres Charakterspektrum als andere Wesen; sie sind die einzige >gute< Rasse, die sich selbst bekriegt - und das leider immer häufiger.
Die Oberflächenelfen aber sind dennoch hoffnungsvoll. Sie, die am längsten leben und den Anbruch vieler Jahrhunderte miterlebt haben, sind hoffnungsvoll, daß die menschliche Rasse gut werden wird, daß das Böses sich selbst zerstören wird und daß die Welt dann denen gehört, die noch übrig sind.
In meiner Geburtsstadt habe ich erlebt, wie beschränkt das Böse ist, wie beschränkt Selbstzerstörung ist. Ja, es existierte eine Unfähigkeit, höhere Ziele anzustreben, selbst wenn es sich dabei um Ziele handelte, die auf Machtausdehnung basierten. Aus diesem Grund habe auch ich noch Hoffnung für die Menschen und für die Reiche. Da sie so unterschiedlich sind, sind die Menschen auch diejenigen, die man am besten formen kann, und sie sind am ehesten dazu fähig, etwas fallenzulassen, wenn sie erkennen, daß es falsch ist.
Mein eigenes Überleben basierte auf meinem Glauben, daß es einen höheren Sinn im Leben gibt: daß Prinzipien eine Belohnung an sich sind. Deshalb kann ich nicht verzweifeln, wenn ich in die Zukunft sehe, sondern empfinde eher Hoffnung für alle, und ich bin entschlossen, zu helfen, damit diese Höhen erreicht werden.
Das hier ist meine Geschichte, so detailliert erzählt, wie ich mich erinnern kann, und so komplett, wie ich es mit mir vereinbaren kann. Ich habe einen langen Weg hinter mir, voller Tiefen und Schranken, und erst jetzt, da das alles so weit hinter mir liegt, bin ich in der Lage, eine ehrliche Schilderung davon zu geben.
Niemals werde ich an diese Zeilen denken und lachen. Der Preis ist zu hoch gewesen, als daß man humorvoll zurückblicken könnte. Doch oftmals denke ich an Zaknafein, Belwar und Mooshie und all die anderen Freunde, die ich hinter mir gelassen habe.
Auch habe ich mich oft an die vielen Feinde erinnert, denen ich gegenübergestanden bin, an die vielen Leben gedacht, die ich beendet habe. Mein Leben ist gewalttätig gewesen, ich habe in einer gewalttätigen Welt gelebt, die voll von Feinden ist, die mich und die, die mir teuer sind, bedrohen. Ich kann für die Perfektion meiner Krummschwerter nur dankbar sein, für meine Kampffertigkeit, und ich muß zugeben, daß ich mir einige Male erlaubt habe, auf diese schwer verdienten Fähigkeiten stolz zu sein.
Doch wann immer ich das Ganze genauer betrachtet habe, war mir doch schwer ums Herz, daß die Dinge nicht anders gelaufen waren. Es schmerzt mich, an Masoj Hun’ett zu denken, den einzigen Dunkelelf, den ich im Leben getötet habe. Er war es gewesen, der den Kampf herbeigeführt hatte, und er hätte mich sicherlich auch getötet, wenn ich nicht stärker gewesen wäre. Ich kann meine Handlungsweise an diesem schicksalhaften Tag rechtfertigen, aber mit der Notwendigkeit werde ich mich niemals abfinden. Es sollte eine bessere Möglichkeit der Auseinandersetzung geben, als das Schwert sprechen zu lassen.
In einer Welt, die voller Gefahren ist, wo sich Orks und Trolle herumtreiben und sich anscheinend hinter jeder Straßenbiegung verstecken, da wird der, der kämpft, oftmals als Held behandelt, und die Welt applaudiert ihm. Doch hinter dem Wort >Held< verbirgt sich mehr als Körperkraft und ausgeklügelte Kampfmethoden, sage ich.
Mooshie war wirklich ein Held, weil er Widrigkeiten überwand und auch bei ungleichen Chancen nicht zögerte, und vor allem deshalb, weil er nach einer Moral handelte, die auf klar definierten Prinzipien beruhte. Aber kann ich das nicht auch von Belwar Dissengulp, dem Tiefengnom sagen, der sich mit einem abtrünnigen Drow angefreundet hatte? Oder von Clacker, der lieber sein eigenes Leben gegeben hat, als seine Freunde in Gefahr zu bringen?
Auch Wulfgar aus dem Eiswindtal würde ich als einen Helden bezeichnen, weil er seine Prinzipien über seine Kampfeslust gestellt hat. Wulfgar hat die falschen Erkenntnisse seiner wilden Jugend überwunden und gelernt, die Welt als einen Ort zu sehen, der eher Hoffnungen birgt, als ein Feld potentieller Siege ist. Und Bruenor, der Zwerg, der Wulfgar diesen wichtigen Unterschied nahegebracht hat, ist ein gerechter König, wie es nicht viele in den Reichen gibt. Er verkörpert den Glauben, den sein Volk hochhält, und sie werden Bruenor fröhlich mit ihrem Leben verteidigen und ihm sogar noch auf dem Sterbebett ein Lied singen.
Am Ende, als mein Vater die Kraft fand, sich der bösen Oberin zu verweigern, war auch er ein Held. Zaknafein, der den Kampf um seine Prinzipien und seine Identität immer wieder in seinem Leben verloren hatte, hat am Ende doch gesiegt.
Doch keiner dieser Krieger kann ein junges Mädchen in den Schatten stellen, das ich gleich zu Anfang kennengelernt habe, als ich nach Zehnstädte kam. Von all den Menschen, die ich kennengelernt habe, hatte keiner höhere Ansprüche an Ehre und Schicklichkeit als Catti-brie. Sie hat viele Kämpfe gesehen, und dennoch funkelt in ihren Augen Unschuld, und ihr Lächeln strahlt ungetrübt. Traurig wird der Tag sein, und die Welt wird wehklagen, wenn der unharmonische Tonfall des Zynismus die Harmonie ihrer melodischen Stimme verwässert.
Die, die mich einen Held nennen, sprechen oft nur von meiner Kampftüchtigkeit und wissen nichts von den Prinzipien, für die ich meine Schwerter einsetze. Ich nehme ihre Blindheit als das hin, was sie ist. Doch wenn Catti-brie mich so nennt, dann jubelt mein Herz vor Freude und Zufriedenheit, denn dann weiß ich, daß ich um meines Herzens willen so genannt werde und nicht wegen meines Arms, der das Schwert führt. Und dann wage ich auch zu glauben, daß die Bezeichnung gerechtfertigt ist.
Und so geht meine Geschichte zu Ende. Ich sitze jetzt bequem neben meinem Freund, dem gerechten König von Mithril-Halle, und alles ist ruhig, friedlich und blühend. Tatsächlich, dieser Dunkelelf hat ein Zuhause und einen Platz gefunden. Aber ich bin jung, daran muß ich mich immer wieder erinnern. Ich habe noch zehnmal mehr Jahre vor mir, als die meisten schon hinter sich haben. Und wenn ich auch im Augenblick zufrieden bin, bleibt die Welt doch ein gefährlicher Ort, wo ein Waldläufer an seinen Prinzipien festhalten muß, aber eben auch an seinen Waffen.
Wage ich wirklich zu glauben, daß meine Geschichte voll und ganz erzählt worden ist?
Ich denke nicht.
Drizzt Do'Urden
Fast drei Jahrzehnte sich vergangen, seit ich mein Heimatland verlassen habe, ein kurzer Zeitabschnitt für den Maßstab eines Drowelfen, aber eine Periode, die mir wie eine ganze Lebensspanne erscheint. Alles, wonach es mich verlangte oder wovon ich glaubte, daß es mich danach verlangte, als ich die dunklen Höhlen von Menzoberranzan verließ, war eine wahrhaftige Heimat, ein Ort der Freundschaft und des Friedens, um meine Krummsäbel über dem Kamin einer warmen Herdstelle aufhängen und mit vertrauten Gefährten plaudern zu können.
All dies habe ich nun an der Seite von Bruenor in den geheiligten Hallen seiner Jugend gefunden. Es geht uns gut. Wir haben Frieden. Ich trage meine Waffen nur während der Fünftagereisen zwischen Mithril-Halle und Silbrigmond.
Hatte ich unrecht?
Ich stelle meinen Entscheidung, die üble Welt von Menzoberranzan zu verlassen, weder in Frage noch bedaure ich sie, aber in der (endlosen) Ruhe und dem Frieden beginne ich nun zu glauben, daß meinen Wünsche zu jener kritischen Zeit in der unvermeidbaren Sehnsucht der Unerfahrenheit begründet waren. Ich hatte niemals ruhige Existenz gekannt, die ich so sehr ersehnte.
Ich kann nicht leugnen, daß mein Leben besser ist, tausendmal besser als alles, was ich jemals im Unterreich erlebt habe. Und doch, ich kann mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal die Beklemmung, die erregende Furcht gespürt habe, die eine nahende Schlacht verursacht, das Prickeln, das einen nur dann überfällt, wenn ein Feind sich naht oder einer Herausforderung entgegengetreten werden muß.
Oh, ich kann mich an den genauen Zeitpunkt erinnern - es ist gerade ein Jahr her, als Wulfgar, Guenhwyvar und ich die tiefergelegenen Tunnel von Mithril-Halle säuberten -, aber das Gefühl, das Prickeln der Furcht ist schon lange aus meiner Erinnerung verblaßt.
Sind wir also Geschöpfe des Handelns? Behaupten wir nur, daß es uns nach jenen anerkannten Plätzen der Bequemlichkeit verlangt, während es in Wahrheit die Herausforderung und das Abenteuer sind, die uns wirkliches Leben einhauchen?
Ich muß gestehen, zumindest vor mir selbst, daß ich es nicht weiß. Einen Umstand jedoch gibt es, den ich nicht bestreiten kann, eine Wahrheit, die mir unweigerlich helfen wird, diese Fragen zu beantworten und die mir eine glückliche Zukunft eröffnet. Denn nun, an der Seite von Bruenor und seiner Sippe, an der Seite von Wulfgar und Catti-brie und Guenhwyvar, meinem lieben Guenhwyvar steht es mir frei, mein Schicksal selbst zu bestimmen.
Jetzt bin ich sicherer als jemals zuvor in den sechzig Jahren meines Lebens. Die Aussichten für die Zukunft haben für fortwährenden Frieden und fortwährende Sicherheit noch nie besser ausgesehen. Und doch fühle ich mich sterblich. Das erste Mal schaue ich auf das, was vorüber ist, statt auf das, was vor mir liegt. Ich kann es nicht erklären. Ich fühle, daß ich sterbe, daß jene Geschichten, die ich mit meinen Freunden teilen wollte, bald schal werden müssen und daß es nichts gibt, wodurch man sie ersetzen kann. Aber, ermahne ich mich selbst, es liegt an mir die Wahl zu treffen.
Drizzt Do'Urden
In der Sprache der Dunkelelfen gibt es kein Wort für Liebe. Der Ausdruck, der dem am nächsten kommt, ist Ssinssrigg, aber das läßt sich besser mit körperlicher Lust oder selbstsüchtiger Gier übersetzen. Die Idee der Liebe existiert natürlich in den Herzen einiger Dunkelelfen, aber wahre Liebe, ein selbstloses Begehren, das oftmals persönliche Opfer verlangt, hat keinen Platz in einer Welt solch bitterer und gefährlicher Rivalität.
Die einzigen Opfer in der Drowkultur sind Gaben für Lloth, und diese sind wahrlich nicht selbstlos, denn der Gebende erhofft oder erbittet etwas Größeres als Gegenleistung.
Und doch war die Idee der Liebe nicht neu für mich, als ich das Unterreich verließ. Ich hatte Zaknafein geliebt. Ich liebte Belwar und Clacker. In der Tat war es gerade die Fähigkeit zur Liebe und mein Bedürfnis nach ihr, die mich schließlich aus Menzoberranzan fortgehen ließ.
Gibt es irgendwo auf der Welt eine Idee, die flüchtiger und weniger faßbar ist? Viele Leute in allen Rassen scheinen die Liebe einfach nicht zu verstehen, beschweren ihre wunderbare Einfachheit mit vorgefaßten Meinungen und unrealistischen Erwartungen. Welche Ironie liegt doch darin, daß ich, der ich aus der Finsternis des lieblosen Menzoberranzan gekommen bin, diese Idee besser begreifen kann als viele von jenen, die ihr ganzes Leben mit ihr gelebt haben oder zumindest mit der sehr realen Möglichkeit, sie zu erfahren.
Einige Dinge wird ein abtrünniger Dunkelelf nie für selbstverständlich ansehen.
Meine wenigen Reisen nach Silbrigmond haben in den letzten Wochen gutmütige Scherze meiner Freunde provoziert. »Bestimmt hat der Elf seine Augen auf eine weitere Hochzeit gerichtet!« hat Bruenor oft genug gesäuselt, womit er auf meine Beziehung zu Alustriel angespielt hat, der Herrscherin von Silbrigmond. Ich lasse ihre Sticheleien über mich ergehen, denn ich erkenne die ernste Wärme und die Hoffnungen dahinter, und ich wollte diese Hoffnungen nicht dadurch zerstören, daß ich meinen teuren Freunden erklärte, daß ihre Vermutungen fehlgeleitet sind.
Ich schätze Alustriel und die Güte, die sie mir erwiesen hat. Ich weiß zu würdigen, daß sie, eine Herrscherin in einer nur zu oft unvergebenden Welt, ein solches Risiko auf sich genommen hat, einen Dunkelelfen frei über die wunderbaren Straßen ihrer Stadt wandeln zu lassen. Daß Alustriel mich als ihren Freund akzeptiert hat, erlaubte es mir, mein Verlangen aus meinen wahren Wünschen zu ziehen, nicht aus erwarteten Beschränkungen.
Aber liebe ich sie?
Nicht mehr als sie mich liebt.
Ich muß jedoch zugeben, daß ich die Gewißheit liebe, daß ich Alustriel lieben könnte und daß sie mich lieben könnte und daß die Farbe meiner Haut und der Ruf meiner Herkunft die edle Herrscherin von Silbrigmond nicht kümmern würde, gäbe es diese Anziehung zwischen uns.
Doch nun weiß ich, daß Liebe der hervorstechendste Teil meiner Existenz geworden ist und daß das Band der Freundschaft mit Bruenor, Wulfgar und Regis wichtigster Bestandteil jedes Glücks geworden ist, das dieser Dunkelelf jemals kennen wird.
Mein Band zu Catti-brie ist noch inniger.
Ehrliche Liebe ist eine selbstlose Idee, habe ich immer gesagt, und in diesem Frühling ist meine eigene Selbstlosigkeit auf eine harte Probe gestellt worden.
Ich fürchte nun um die Zukunft, um Catti-brie und Wulfgar denn da sind Hindernisse für ihre Liebe; die sie gemeinsam überwinden müssen. Wulfgar liebt Catti-brie, das steht außer Zweifel, aber er belastet seine Liebe mit einer Besitzgier die an Nichtachtung grenzt.
Er sollte den Geist von Catti-brie verstehen, sollte mit klarem Blick den Brennstoff sehen, der das Feuer in ihren wunderbaren blauen Augen nährt. Es ist dieser Geist, den Wulfgar liebt, und doch wird er ihn zweifellos mit seiner Ansicht ersticken, daß eine Frau ein Teil des Besitzes ihres Mannes sei.
Seit den Tagen seiner Jugend, als er die Tundra durchstreifte, ist mein barbarischer Freund weit gekommen. Um das Herz von Bruenors feuriger Tochter zu behalten, um Catti-bries Liebe zu erhalten, muß er jedoch noch viel weiter kommen.
Gibt es irgendwo auf der Welt eine Idee, die flüchtiger, weniger faßbar ist?
Drizzt Do'Urden
Was für gefährlichen Pfaden bin ich in meinem Leben gefolgt, auf was für krummen Wegen sind diese Füße gewandelt: in meinem Heimatland, den Tunneln des Unterreiches, über die Oberfläche des Nordlandes und selbst auf den Spuren meiner Freunde.
Ich schüttele mein Haupt vor Verwunderung - ist jede Ecke der weiten Welt von Leuten besetzt, die so in sich selbst vertieft sind, daß sie es anderen nicht erlauben können, ihre Lebenswege zu kreuzen? Von Leuten, die so von Haß erfüllt sind, daß sie andere wegen Dingen verfolgen, die sie als Unrecht ihnen gegenüber empfinden und die doch nicht mehr waren als eine ehrliche Verteidigung gegen ihre eigenen bösen Übergriffe?
Ich ließ Artemis Entreri in Calimhafen zurück und mit ihm auch mein Verlangen nach Rache, das befriedigt war. Unsere Pfade hatten sich gekreuzt und zu unser beider Vorteil wieder getrennt. Entreri hatte keinen besonderen Grund, mich zu verfolgen, hatte dadurch, daß er erneut auf mich traf, nichts zu gewinnen als die mögliche Wiederherstellung seines verletzten Stolzes.
Was ist er doch für ein Narr.
Er hat seinen Körper bis zur Perfektion trainiert, hat seine Kampffähigkeiten so gut ausgebildet, wie ich es nur jemals gesehen habe. Aber sein Bedürfnis, mich zu verfolgen, zeigt seine Schwäche. So wie wir die Geheimnisse des Körpers aufdecken, so müssen wir auch die Harmonie der Seele entschlüsseln. Aber Artemis Entreri wird bei aller körperlichen Meisterschaft niemals erfahren, welche Lieder seine Seele singen könnte. Er wird immer eifersüchtig den Harmonien anderer lauschen und davon besessen sein, jeden zu vernichten, der seine Selbstanmaßung bedroht.
Er ist so wie sehr viele meines eigenen Volks und sehr viele andere, aus unterschiedlichen Rassen, die ich getroffen habe: barbarische Kriegsherren, deren Machtpositionen von ihrer Fähigkeit abhing, Krieg mit Feinden zu führen, die keine Feinde waren; Zwergenkönige, die Reichtümer jenseits jeder Vorstellungskraft anhäuften, wo doch ein winziger Bruchteil dieser Schätze genügen würde, das Leben aller Lebewesen in ihrem Gebiet zu verbessern und es ihnen im Gegenzug erlauben würde, ihre allgegenwärtigen militärischen Schutzmaßnahmen zu verringern und ihre zerstörerische Paranoia abzulegen; hochmütige Elfen, die ihre Augen vom Leid all jener abwenden, die keine Elfen sind, und die der Meinung sind, daß die >geringeren Rassen< ihre Not irgendwie selbst verschuldet haben.
Ich bin vor diesen Völkern geflohen, bin durch die Gebiete dieser Völker gezogen und habe zahllose Geschichten von Reisenden aus allen bekannten Ländern gehört. Und ich weiß nun, daß ich gegen sie kämpfen muß, doch nicht mit einem Schwert oder einer Armee, sondern indem ich dem treu bleibe, von dem ich in meinem Herzen weiß, daß es der richtige Weg der Harmonie ist.
Durch die Gnade der Götter stehe ich nicht alleine. Seit Bruenor seinen Thron bestiegen hat, haben die Nachbarvölker Hoffnung aus seinem Versprechen geschöpft, daß die Zwergenschätze von Mithril-Halle der ganzen Region zugute kommen werden. Catti-bries hingebungsvolles Eintreten für ihre Prinzipien steht dem meinen in nichts nach, und auch Wulfgar hat seinem Kriegervolk den besseren Weg der Freundschaft und der Harmonie gezeigt.
Sie sind meine Rüstung, meine Hoffnung in dem, was die Zukunft für mich und für die ganze Welt bereithält. Und wenn sich der Weg der verlorenen Verfolger, wie Entreri, unvermeidlicherweise erneut mit dem meinen kreuzt, erinnere ich mich an Zaknafein, mit dem ich verwandt bin durch Blut und Seele. Ich denke an Montolio, und mein Herz zieht Stärke daraus, daß es andere gibt, die die Wahrheit kennen, daraus, daß meine Ideale nicht mit mir sterben werden, wenn ich vernichtet werde. Durch diese Freunde, die ich gekannt habe, die ehrenhaften Leute, die ich getroffen habe, weiß ich, daß ich kein einsamer Held bin, der für eine Sache eintritt, die nur ihm selbst wichtig ist. Ich weiß, daß das, was wichtig ist, weiterleben wird, wenn ich sterbe.
Dies ist mein Vermächtnis; durch die Gnade der Götter stehe ich nicht alleine.
Drizzt Do'Urden
Welchen Aufruhr ich in mir verspürte, als ich das erste Mal meinen ernstesten, am tiefsten in meinen Prinzipien verwurzelten Schwur brach; daß ich niemals wieder das Leben eines Mitgliedes meines eigenen Volkes nehmen würde! Der Schmerz, ein Gefühl des Versagens, ein Gefühl des Verlustes, brannte scharf, als mir bewußt wurde, welch üble Tat meine Krummsäbel getan hatten.
Die Schuld schwand jedoch schnell - nicht, weil ich mich von irgendeinem Versagen freisprach, sondern weil ich erkannte, daß mein wahres Versagen darin bestanden hatte, den Schwur abzulegen, nicht ihn zu brechen. Als ich aus meinem Heimatland fortging, sprach ich die Worte aus reiner Unschuld heraus, aus der Naivität weltfremder Jugend, und als ich sie aussprach, meinte ich sie wahrhaftig so. Doch ich mußte erkennen, daß ein solcher Schwur unrealistisch war; als ich einen Lebensweg einschlug, in dem ich mich als Verteidiger jener Ideale sah, die ich so sehr verehrte, war gleichzeitig entschieden, daß ich nicht vor Handlungen zurückschrecken konnte, die mir dieser Lebensweg vorschrieb, nur weil meine Feinde Drowelfen waren.
Es war einfach so, daß das Einhalten dieses Schwures von Situationen abhing, die vollständig außerhalb meiner Kontrolle lagen. Wäre ich nach meinem Verlassen von Menzoberranzan im Kampf niemals wieder auf einen Dunkelelfen gestoßen, hätte ich meinen Schwur auch nicht gebrochen. Aber das hätte mich auf keine Weise ehrenhafter gemacht. Glückliche Umstände sind nicht das gleiche wie hohe Prinzipien.
Als jedoch die Situation eintrat, daß meine teuersten Freunde von Dunkelelfen bedroht wurden, daß diese ein Volk mit Krieg zu überziehen drohten, das ihnen keinen Schaden zugeführt hatte, hatte ich da überhaupt die Wahl, meine Krummsäbel guten Gewissens in ihren Scheiden zu lassen? Was war mein Schwur wert, wenn man ihn gegen die Leben von Bruenor, Wulfgar und Catti-brie aufwog oder wenn man ihn gegen das Leben von Unschuldigen überhaupt aufwog? Wenn ich während meiner Reise erlebt hätte, wie die Dunkelelfen Oberflächenelfen oder ein kleines Dorf überfallen, so hätte ich mich den ungesetzlichen Angreifern mit all meiner Kraft im Kampf gegenübergestellt. Das weiß ich ohne den Hauch eines Zweifels.
In einem solchen Fall hätte ich zweifellos ebenfalls den scharfen Schmerz des Versagens verspürt und ihn wie jetzt schon bald überwunden.
Ich stimme deshalb keine Klage darüber an, daß ich meinen Schwur gebrochen habe - obwohl es mich wie immer schmerzt, daß ich töten mußte. Genausowenig bedauere ich es, den Schwur geleistet zu haben, denn die Erklärung meiner jugendlichen Narrheit hat keinen daraus folgenden Schmerz verursacht. Hätte ich jedoch versucht, an den unnachgiebigen Worten jener Erklärung festzuhalten, hätte ich meine Klingen aus einem Gefühl falschen Stolzes heraus nicht gezogen und hätte diese Untätigkeit dazu geführt, daß ein Unschuldiger verletzt worden wäre, dann wäre der Schmerz in Drizzt Do’Urden noch viel brennender gewesen, und er wäre niemals verschwunden.
Es gibt noch eine weitere Sache, die ich über meine Erklärungen gelernt habe, eine weitere Wahrheit, von der ich glaube, daß sie mich auf meinem gewählten Lebensweg weiter voranbringt. Ich hatte gesagt, ich würde niemals wieder einen Drowelfen töten. Ich gab diese Willensbekundung ab, ohne viel über die vielen anderen Rassen zu wissen, die es auf der weiten Welt, sowohl im Unterreich als auch auf der Oberfläche, gibt, ohne zu verstehen, daß viele dieser Völker überhaupt existierten. Ich würde niemals wieder einen Drow töten, aber was war mit den Svirfnebnli, den Tiefengnomen? Oder mit den Halblingen, Elfen oder Zwergen? Und was war mit den Menschen?
Ich hatte die Gelegenheit, Menschen zu töten, als Wulfgars barbarische Sippe Zehn-Städte angriff. Diese unschuldigen Städter zu verteidigen, bedeutete, die angreifenden Menschen zu bekämpfen und vielleicht auch zu töten. Und doch berührte diese Handlung, so unangenehm sie auch gewesen sein mag, meinen geheiligten Schwur in keiner Weise, obwohl der Ruf der Menschheit weitaus besser ist als jener der Dunkelelfen.
Daher kommt mir die Erklärung, niemals wieder einen Drow zu erschlagen, bloß weil diese und ich die gleiche körperliche Abstammung teilen, heute falsch, ja einfach rassistisch vor. Das Leben eines Wesens höher als das eines anderen einzustufen, nur weil die eine Person die gleiche Hautfarbe besitzt wie ich, verstößt gegen meine Prinzipien. Die falschen Werte, die in jenem alten Schwur eingebettet sind, haben keinen Platz in meiner Welt, in der großen Welt der zahllosen körperlichen und kulturellen Unterschiede. Es sind gerade diese Unterschiede, die meine Reisen so spannend machen, gerade diese Unterschiede, die der universellen Idee der Schönheit neue Farben und Formen verleihen.
Ich lege nun einen neuen Schwur ab, einen, der von der Erfahrung genährt wird und den ich sehenden Blicks verkünde: Ich werde meine Krummsäbel nur noch zur Verteidigung erheben - zur Verteidigung meiner Prinzipien, meines Lebens oder anderer, die sich nicht selbst verteidigen können. Ich werde nicht kämpfen, um die Sache falscher Propheten zu fördern, die Schätze von Königen zu vermehren oder um meinen eigenen verletzten Stolz zu rächen.
Und vor allen goldschweren Söldnern, die für religiöse oder weltliche Dinge kämpfen und denen ein solcher Schwur unrealistisch, undurchführbar und sogar lächerlich vorkommen mag, verschränke ich meine Arme vor der Brust und erkläre mit Gewißheit: Ich bin der bei weitem Reichere!
Drizzt Do'Urden
Wenn ich sterben werde ...
Ich habe Freunde verloren, habe meinen Vater meinen Mentor, an das größte aller Geheimnisse verloren, das Tod genannt wird. Ich habe Trauer gekannt, seit dem Tag, an dem ich mein Heimatland verlassen habe, seit dem Tag, an dem die üble Malice mir mitteilte, daß Zaknafein der Spinnenkönigin übergeben worden war. Trauer ist ein seltsames Gefühl, dessen Zentrum sich ständig verschiebt. Trauere ich um Zaknafein, um Montolio, um Wulfgar? Oder trauere ich um mich selbst, um den Verlust, den ich erdulden muß?
Es ist vielleicht die grundlegende Frage der sterblichen Existenz, und doch ist es eine, auf die es keine Antwort geben kann ...
Ich bin noch immer traurig, wenn ich an die Übungskämpfe mit meinem Vater denke, wenn ich mich erinnere, wie ich an Montolios Seite durch die Berge wanderte, und wenn jene Erinnerungen an Wulfgar, die wohl die intensivsten von allen sind, wie eine Zusammenfassung der letzten paar Jahre meines Lebens durch meinen Kopf zucken. Ich erinnere mich an einen Tag auf Kelvins Steinhügel, der sich über die Tundra des Eiswindtales erhebt, als der junge Wulfgar und ich die Lagerfeuer seines nomadischen Volkes erblickten. Das war der Moment, wo Wulfgar und ich wirklich Freunde wurden, der Moment, in dem wir wußten, daß wir bei allen Ungewißheiten des Lebens immer einander haben würden.
Ich erinnere mich an den weißen Drachen Eisiger Tod und an den Riesen Biggrin und daran, daß ich in beiden Kämpfen getötet worden wäre, wenn nicht der heldenmütige Wulfgar an meiner Seite gestanden hätte. Ich erinnere mich auch daran, wie ich mit meinem Freund die Siege geteilt habe, wie das Band unseres Vertrauens und unserer Zuneigung immer enger wurde - enger aber niemals beengend.
Ich war nicht da, als er fiel, und konnte ihm nicht die Unterstützung geben, die er mir sicher gegeben hätte.
Ich konnte nicht »Lebwohl!« sagen.
Wenn ich sterben werde, werde ich dann allein sein? Sollte ich nicht den Waffen der Monster oder den Klauen einer Krankheit zum Opfer fallen, werde ich sicher Catti-brie und Regis überleben und sogar Bruenor. Zu diesem Zeitpunkt meines Lebens glaube ich fest, daß ich ohne diese drei wahrhaft alleine sterben werde, wer immer sonst bei mir sein mag.
Diese Gedanken sind nicht so düster, wie sie klingen mögen. Ich habe Wulfgar sicherlich tausendmal Lebwohl gesagt. Ich habe es ihm jedesmal gesagt, wenn ich ihn spüren ließ, wie teuer er mir war jedesmal, wenn meine Worte oder Handlungen unsere Zuneigung bestätigten. Lebwohl wird von den Lebenden gesagt, an jedem Tag des Lebens. Es wird durch Liebe und Freundschaft gesagt, mit der Versicherung, daß die Erinnerungen überdauern werden, wo es das Fleisch nicht kann.
Wulfgar hat einen anderen Platz gefunden, ein anderes Leben - ich muß daran glauben, denn welchen Sinn hat die Existenz sonst?
Meine wirkliche Trauer gilt mir selber, dem Verlust, von dem ich weiß, daß ich ihn bis ans Ende meiner Tage fühlen werde , wie viele Jahrhunderte bis dahin auch vergehen mögen. Aber in diesem Verlust liegt eine Ruhe, eine göttliche Gelassenheit. Es ist besser, Wulfgar gekannt zu haben und mit ihm jene Geschehnisse erlebt zu haben, die nun meiner Trauer Nahrung geben, als niemals an seiner Seite gegangen zu sein, an seiner Seite gefochten zu haben, die Dinge durch seine kristallblauen Augen gesehen zu haben.
Und so hoffe ich, daß es Freunde geben wird, wenn ich sterben werde, die um mich trauern werden, die unsere geteilten Freuden und Schmerzen weitertragen werden, die mein Andenken bewahren werden.
Dies ist die Unsterblichkeit des Geistes, das alles überdauernde Vermächtnis, die Nahrung der Trauer.
Aber auch ebenso die Nahrung des Glaubens.
Drizzt Do'Urden
Keine Rasse in den Reichen versteht das Wort Rache besser als die Drow. Rache ist die Süße, die sie auf ihren schmunzelnden Lippen schmecken, als sei sie das allergrößte, köstlichste Vergnügen. Und aus Hunger danach kamen die Drow hinter mir her.
Ich kann dem Zorn und der Schuld nicht entkommen, die ich wegen des Verlusts von Wulfgar empfinde, auch nicht der Wut über die Schmerzen, welche die Feinde aus meiner dunklen Vergangenheit jenen Freunden zugefügt haben, die mir so teuer sind. Immer wenn ich in Catti-bries Augen blicke, sehe ich eine tiefe und anhaltende Traurigkeit, die dort nicht sein sollte, eine Bürde, die keinen Platz hat in den glänzenden Augen eines Kindes.
Ich, der ich gleichermaßen verwundet bin, kann ihr keinen Trost spenden und bezweifle, daß es Worte gibt, die ihr helfen können. So bleibt mir denn nun fortzufahren, meine Freunde zu beschützen. Mir ist klargeworden, daß ich weiter blicken muß als nur bis zu meinem eigenen Gefühl des Verlustes, weiter als bis zu der momentanen Traurigkeit, die die Zwerge von Mithril-Halle und die Menschen von Siedelstein ergriffen hat.
Catti-bries Bericht über jenen schicksalhaften Kampf zufolge handelte es sich bei der Kreatur gegen die Wulfgar focht, um eine Yochlol, eine Dienerin Lloths. Diese düstere Information ist es, die mich dazu gebracht hat, weiter zu blicken als bis zu der momentanen Trauer und jene Traurigkeit zu bedenken, von der ich fürchte, daß sie erst noch kommen wird.
Ich verstehe nicht all die chaotischen Spiele der Spinnenkönigin - ich sage mir, daß wohl nicht einmal die bösen Hohepriesterinnen die wahren Absichten der üblen Kreatur kennen -, aber in dem Auftauchen einer Yochlol liegt eine Bedeutsamkeit, die selbst ich, der ich nur wenig über die Religion der Drow weiß, nicht übersehen kann. Das Erscheinen der Dienerin verrät, daß die Jagd von der Spinnenkönigin gebilligt worden war. Und der Umstand, daß die Yochlol in den Kampf eingriff, verheißt nichts Gutes für die Zukunft von Mithril-Halle.
Das sind natürlich alles nur Vermutungen. Ich weiß nicht, ob meine Schwester Vierna in Absprache mit irgendeiner der anderen dunklen Mächte von Menzoberranzan gehandelt hat, oder ob durch Viernas Tod, den Tod meiner letzten Verwandten, meine Verbindung mit der Stadt der Drow endgültig abgeschnitten ist.
Wenn ich in Catti-bries Augen blicke, wenn ich Bruenors schreckliche Narben ansehe, so werde ich daran erinnert, daß hoffnungsvolle Vermutungen eine schwache und gefährliche Angelegenheit sind. Meine üble Sippe hat bereits einen meiner Freunde von mir genommen.
Mehr werden sie nicht bekommen!
In Mithril-Halle werde ich keine Antworten finden, werde ich niemals mit Gewißheit erfahren, ob die Dunkelelfen noch immer nach Rache dürsten, bis irgendwann eine weitere Streitmacht aus Menzoberranzan an die Oberfläche kommt, um sich mein Kopfgeld zu verdienen, Wie könnte ich jemals wieder nach Silbrigmond oder einer anderen Stadt in der Nähe reisen, wie könnte ich meine früheren Gewohnheiten wieder aufnehmen, solange diese Wahrheit mir die Schultern beugt? Wie könnte ich ruhig schlafen, während ich mir in meinem Herzen der Furcht nur allzu bewußt bin, daß die Dunkelelfen bald wiederkommen und meine Freunde erneut bedrohen werden?
Die scheinbare Ruhe in Mithril-Halle, die brütende Stille, wird mir nichts über die zukünftigen Pläne der Drow verraten. Und doch muß ich, um meiner Freunde willen, ihre finsteren Absichten kennen. Ich fürchte, es gibt nur einen Ort, wo ich dies in Erfahrung bringen kann.
Wulfgar gab sein Leben, damit seine Freunde überleben konnten. Wie könnte da mein eigenes Opfer geringer ausfallen?
Drizzt Do'Urden
Niemals, seit dem Tag, an dem ich Menzoberranzan verlassen habe, hat mich eine notwendige Entscheidung innerlich so zerrissen. Ich saß am Eingang einer Höhle und blickte auf die Berge, die vor mir lagen, während der Tunnel, der mich in das Unterreich führen sollte, hinter meinem Rücken gähnte:
Dies war der Augenblick, von dem ich vorher geglaubt hatte, daß in ihm mein Abenteuer erst beginnen würde. Als ich von Mithril-Halle aufbrach, hatte ich mir wenig Gedanken über jenen Teil meines Weges gemacht, der mich zu dieser Höhle bringen würde. Ich hatte angenommen, daß die Reise selbstverständlich ereignislos verlaufen würde.
Doch dann habe ich Ellifain gesehen, das Mädchen, das ich vor über drei Jahrzehnten gerettet hatte, als sie nur ein verängstigtes Kind gewesen war. Daher wollte ich zu ihr zurückgehen, mit ihr sprechen und ihr helfen, das Trauma zu überwinden, das sie durch jenen schrecklichen Überfall der Drow erlitten hatte. Ich wollte von dieser Höhle weglaufen, Tarathiel folgen und mit ihm zusammen zurück zum Mondwald reiten.
Aber ich konnte die Dinge nicht beiseite schieben, die mich erst hierhergeführt hatten.
Ich hatte vom Zeitpunkt meines Aufbruchs an gewußt, daß der Besuch in Montolios Wäldchen, dem Ort so vieler lieber Erinnerungen, sich als eine gefühlvolle, ja sogar spirituelle Erfahrung erweisen würde. Er war mein erster Freund auf der Oberfläche gewesen, mein Lehrer. Er war es gewesen, der mich zu Mielikki geführt hatte. Ich bin völlig unfähig, die Freude zu beschreiben, die ich gefühlt habe, als ich erfuhr, daß Montolios Wäldchen unter dem schützenden Auge eines Einhorns steht. Ein Einhorn! Ich habe ein Einhorn gesehen, das Symbol meiner Göttin, den Gipfel an Perfektion, den die Natur hervorbringen kann! Ich mag sehr gut der erste meiner Rasse sein, der jemals die weiche Mähne eines solchen Tieres berührt hat, der erste, der einem Einhorn in Freundschaft gegenübergetreten ist. Es ist ein seltenes Glück, auf Anzeichen zu stoßen, daß ein Einhorn in der Nähe ist, und noch viel seltener ist es, jemals eines zu sehen. Nur wenige in den ganzen Reichen können sagen, daß sie in die Nähe eines Einhorns gekommen sind; und noch viel weniger haben jemals eines berührt.
Ich habe dies getan.
War es ein Zeichen meiner Göttin? Guten Gewissens mußte ich annehmen, daß es das war, daß Mielikki sich mir in einer greifbaren und erregenden Weise genähert hatte. Aber was bedeutet das alles? Ich bete nur selten. Ich ziehe es vor, durch meine täglichen Handlungen und meine ehrlichen Gefühle mit meiner Göttin zu sprechen. Ich muß nicht das, was geschehen ist, mit Worten hübsch übertünchen, die meine Handlungen in einem möglichst guten Licht erscheinen lassen. Wenn Mielikki mit mir ist, dann kennt sie die Wahrheit, weiß, wie ich handle und was ich fühle.
An jenem Abend im Höhleneingang betete ich jedoch. Ich betete um Führung, um etwas, das mir die Bedeutung des Erscheinens des Einhorns offenbaren würde. Das Einhorn hat mir gestattet, es zu berühren; dies ist die höchste Ehrung, die es für einen Waldläufer geben kann. Aber was sollte mir die Ehrung sagen ?
Wollte Mielikki mir mitteilen, daß ich hier auf der Oberfläche akzeptiert worden wäre, und das auch weiterhin sein würde und daß ich diesen Ort nicht verlassen sollte? Oder sollte mir das Erscheinen des Einhorns signalisieren, daß die Göttin meine Entscheidung guthieß, nach Menzoberranzan zurückzukehren?
Oder war das Einhorn Mielikkis besondere Art, »Lob wohl« zu sagen?
Dieser letzte Gedanke verfolgte mich die ganze Nacht. Zum ersten Mal, seit ich Mithril-Halle verlassen hatte, begann ich darüber nachzudenken, was ich, Drizzt Do'Urden, zu verlieren hatte. Ich dachte an meine Freunde, Montolio und Wulfgar die diese Welt bereits verlassen hatten, und ich dachte an jene anderen, die ich wahrscheinlich niemals wiedersehen würde.
Ein Berg von Fragen türmte sich vor mir auf. Würde Bruenor jemals über den Verlust seines angenommenen Sohnes hinwegkommen? Und würde Catti-brie ihre eigene Trauer überwinden? Würde der verzauberte Funke, die pure Lust am Leben, jemals wieder in ihre blauen Augen zurückkehren? Würde ich jemals wieder meinen müden Kopf an Guenhwyvars muskulöse Flanke pressen können?
Mehr denn je wollte ich aus dieser Höhle laufen, zurück nach Mithril-Halle und zu meinen Freunden, um ihnen durch die Zeit ihrer Trauer zu helfen, sie zu führen und ihnen zuzuhören und sie einfach nur zu umarmen.
Doch wieder konnte ich jene Dinge nicht beiseite schieben, die mich in diese Höhle geführt hatten. Ich konnte nach Mithril-Halle zurückkehren, aber das konnte auch meine dunkle Sippe. Ich gab mir nicht die Schuld an Wulfgars Tod - ich hatte nicht wissen können, daß die Dunkelelfen kommen würden. Aber jetzt konnte ich nicht verleugnen, daß ich Lloths schreckliche Art und ihre unersättliche Gier kannte. Wenn die Drow zurückkehren und jenes - geliebte! - Licht in Catti-bries Augen auslöschen sollten, dann würde Drizzt Do'Urden tausend schreckliche Tode sterben.
Ich betete die ganze Nacht, aber ich erfuhr keine göttliche Eingebung. Am Ende kam ich zu der Erkenntnis, daß ich, wie stets, dem folgen mußte, was mein Herz für richtig hielt, und daß ich darauf vertrauen mußte, daß es mit Mielikkis Willen übereinstimmte.
Ich ließ das Feuer im Höhleneingang lodern. Ich mußte es solange wie möglich sehen können, während ich in den Tunnel schritt, um aus seinem Licht Mut zu schöpfen. Denn ich ging in die Dunkelheit.
Drizzt Do'Urden
Es gibt keine Schatten im Unterreich.
Erst nach Jahren auf der Oberfläche habe ich die Bedeutung verstanden, die in dieser so unscheinbaren Tatsache verborgen liegt, die Bedeutung des Gegensatzes von Licht und Dunkelheit. Es gibt keine Schatten im Unterreich, keine Gebiete des Geheimnisvollen, in die nur die Vorstellungskraft einzudringen vermag.
Was für eine wundervolle Sache doch ein Schatten ist! Ich habe meine eigene Silhouette unter mir langgehen sehen, wenn die Sonne hoch über mir stand; ich habe ein Eichhörnchen gesehen, das bei niedrig stehendem Licht die Größe eines Bäten anzunehmen schien und seinen bedrohlichen Umriß weit über den Boden ausdehnte. Ich bin im Zwielicht durch die Wälder gegangen, wobei mein Blick einmal auf jene helleren Gebiete traf die die letzten Strahlen des Tageslichts auffingen und sich allmählich vom Laubgrün zum Grau wandelten, und fand dann wieder jene dunklen Flecken, in die nur meine Vorstellungskraft eindringen konnte. Würde dort ein Ungeheuer lauern? Ein Ork oder ein Goblin? Oder verhüllte jene Düsternis einen verborgenen Schatz, vielleicht ein wunderbares magisches Schwert oder auch nur einen verlassenen Fuchsbau?
Wenn ich im Zwielicht durch die Wälder schreite, begleitet mich meine Vorstellungskraft, schärft meine Sinne und öffnet meinen Verstand für unendliche Möglichkeiten. Aber im Unterreich gibt es keine Schatten, und dort ist kein Raum für phantasievolle Einbildungen. Alles ist dort im Griff einer ständigen, brütenden, raubtierhaften Hast und einer sehr realen, immerwährenden Gefahr Immer und überall.
Sich einen lauernden Feind oder einen verborgenen Schatz auszumalen, ist eine angenehme Übung, ein künstlich heraufbeschworener Zustand der Wachsamkeit und des bewußten Lebens. Aber wenn jener Feind nur allzuoft wirklich vorhanden und nicht nur eingebildet ist, wenn jeder Vorsprung im Fels und jedes mögliche Versteck zu einem Quell ängstlicher Anspannung wird, dann macht das Spiel keinen Spaß mehr.
Wenn man die Gänge des Unterreiches durchschreitet, darf man sich nicht von seiner Einbildungskraft leiten lassen. Sich einen Feind vorzustellen, der hinter einem Stein lauert, kann einen nur zu einfach von einem anderen Felsbrocken ablenken, hinter dem sich wirklich ein Feind verbirgt. Sich einem Tagtraum zu überlassen, bedeutet, seine Wachsamkeit schleifen zu lassen. Sorglosigkeit jedoch bedeutet im Unterreich den Tod.
Dies wurde für mich die schwierigste Veränderung in der Sichtweise, als ich wieder in jene lichtlosen Tunnel zurückkehrte. Ich mußte erneut zu jenem urtümlichen Jäger werden, mußte jeden Moment dadurch überleben, daß ich ständig jene instinktive Wachsamkeit aufrechterhielt, die ein Zustand nervöser Energie ist, bei der meine Muskeln stets angespannt sind, immer bereit, sofort loszuspringen. Bei jedem Schritt des Weges war die Gegenwart alles, was zählte, die ständige Suche nach möglichen Verstecken möglicher Feinde. Ich konnte es mir nicht leisten, mir jene Feinde nur auszumalen. Ich mußte auf sie warten und nach ihnen Ausschau halten, immer bereit, auf jede Bewegung zu reagieren.
Es gibt keine Schatten im Unterreich. Denn sie läßt der Vorstellungskraft keinen Raum. Es ist ein Ort der ständigen Wachsamkeit, aber nicht dafür, sich lebendig zu fühlen; ein Ort, der keinen Raum für Hoffnungen und Träume hat.
Drizzt Do'Urden
Eine der Glaubensrichtungen auf Faerun sagt, daß es sieben Sünden der Menschheit gibt, von denen die schlimmste der Stolz ist. Ich hatte dabei immer an die Arroganz von Königen gedacht, die sich selbst zu Göttern ernennen oder zumindest ihre Untertanen davon überzeugen, daß sie mit göttlichen Wesen Kontakt hätten, und somit den Anschein erwecken, daß ihre Macht gottgegeben sei.
Das ist jedoch nur eine Ausprägung dieser tödlichsten aller Sünden. Man muß kein König sein, um durch falschen Stolz gefällt zu werden. Schon Montolio DeBrouchee, mein Lehrer und Freund, warnte mich davor, doch seine Lehren betrafen einen persönlicheren Aspekt von Stolz. » Ein Waldläufer wandert oft allein, doch er wandert nie, ohne Freunde in der Nähe zu haben«, erklärte der weise Mann. »Ein Waldläufer kennt seine Umgebung und weiß, wo er Verbündete finden kann.«
Für Montolios Denkweise war Stolz Blindheit, ein Verschwimmen von Einsicht und Klugheit und der Verlust von Vertrauen. Ein allzu stolzer Mann wandert allein und kümmert sich nicht darum, wo er Verbündete finden kann.
Als ich entdeckte, daß das Netz von Menzoberranzan sich immer enger um mich zog, erkannte ich endlich meinen Fehler, meine Arroganz. War ich dahin gekommen, mir auf meine Fähigkeiten so viel einzubilden, daß ich jene Verbündeten vergessen hatte, durch deren Hilfe ich bis jetzt überlebt hatte? In meinem Zorn über Wulfgars Tod und meiner Angst um Catti-brie, Bruenor und Regis hatte ich niemals daran gedacht, daß diese Freunde mir helfen könnten, die Dinge ins Lot zu bringen. Ich hatte entschieden, daß dieses drängende Problem allein meine Schuld sei und daß ich es daher auch allein, lösen müsse, unmöglich dies auch für eine einzelne Person sein mochte.
Daher wollte ich nach Menzoberranzan gehen, die Wahrheit ergründen und den Konflikt beenden, selbst wenn das bedeutete, mein eigenes Leben zu opfern. Was war ich doch für ein Narr!
Mein Stolz sagte mir, daß ich die Ursache für Wulfgars Tod gewesen sei; mein Stolz sagte mir, daß ich der einzige sei, der alles richten könne. Reine Arroganz hielt mich davon ab, offen mit meinem Freund, dem Zwergenkönig, zu sprechen, der in der Lage gewesen wäre, die nötigen Streitkräfte aufzustellen, um einen drohenden Angriff der Drow abzuwehren.
Auf jenem Sims auf der Insel der Rothe erkannte ich, daß ich für meine Arroganz zu zahlen hatte, daß vielleicht auch andere, die mir lieb und teuer waren, dafür zahlen mußten.
Es ist eine Niederlage für den Geist, wenn man einsehen muß, daß die eigene Arroganz solchen Verlust und Schmerz verursacht hat. Stolz verleitet einen dazu, sich zu Höhen persönlichen Triumphs hinaufzuschwingen, aber der Wind ist dort oben stärker und der Untergrund sehr wacklig. Und man fällt von dort oben um so tiefer.
Drizzt Do'Urden
Tapferkeit.
Dieses Wort hat in jeder Sprache einen besonderen Klang, der vermutlich ebenso durch die ehrfürchtige Art entsteht, in der man es ausspricht, wie durch die Silben selbst.
Tapferkeit. Das Wort erweckt die Vorstellung von großen Taten und großen Charakteren. Sie ruft das Bild grimmiger Entschlossenheit in den Gesichtern von Männern hervor die ihre Stadtmauern vor angreifenden Goblins verteidigen; die Beharrlichkeit einer Mutter die für ihre Kinder sorgt, selbst wenn sich die ganze Welt gegen sie verschworen hat. In vielen der großen Städte der Reiche durchstreifen eltern- und obdachlose Kinder die Straßen. Sie verfügen über eine ganz einzigartige Tapferkeit und trotzen mit ihm körperlichen und gefühlsmäßigen Unbilden.
Ich vermute, daß Artemis Entreri einen solchen Kampf in den schmutzstarrenden Gassen von Calimhafen hinter sich hat. Auf eine Weise hat er diesen Kampf ganz offensichtlich gewonnen, hat alle Widerstände überwunden und ist zu einer Persönlichkeit von unglaublicher Macht und ganz besonderer Autorität geworden.
Auf eine andere Weise hat Artemis Entreri diesen Kampf aber auch verloren. Was hätte aus ihm werden können, frage ich mich oft, wenn sein Herz nicht so verderbt gewesen wäre? Aber ich verwechsle meine Neugier nicht mit Mitleid. Entreri hat sich keinen größeren Widrigkeiten gegenüber gesehen als ich. Er hatte seinen Kampf ganz gewinnen können, mit Körper und Herz.
Ich hielt mich selbst für tapfer und selbstlos, als ich Mithril-Halle mit dem Vorsatz verließ, die Bedrohung für meine Freunde zu beenden. Ich dachte, ich würde zum Wohle jener, die meinem Herzen am nächsten sind, das höchste Opfer bringen.
Als Catti-brie meine Zelle im Haus Baenre betrat, als ich durch halbgeschlossene Augen ihre schöne und scheinbar so zerbrechliche Gestalt sah, wurde mir die Wahrheit klar. Ich hatte meine eigenen Beweggründe nicht gekannt, als ich Mithril-Halle verließ. Ich war zu erfüllt von unbekannter Trauer gewesen, als daß ich meine eigene Resignation erkannt hätte. Ich war nicht tapfer als ich Mithril-Halle verließ, denn im tiefsten Innersten meines Herzens nistete das Gefühl, daß ich nichts zu verlieren habe. Ich hatte mir selbst nicht erlaubt, um Wulfgar zu trauern, und diese Leere raubte mir meinen Willen und mein Vertrauen, daß sich die Dinge wieder richten lassen würden.
Tapfere Leute geben niemals die Hoffnung auf!
Genauso war Artemis Entreri nicht tapfer als er mit Catti-brie kam, um mich zu retten. Seine Handlungen wurden von purer Verzweiflung bestimmt, denn hätte er in Menzoberranzan bleiben müssen, wäre er dem Untergang geweiht gewesen. Entreris Ziele waren, wie immer vollkommen selbstsüchtig. Durch seinen Rettungsversuch traf er eine Entscheidung, denn er glaubte, daß darin seine beste Überlebenschance bestand. Die Rettung war ein Akt der Berechnung, nicht der Tapferkeit. Zu jenem Zeitpunkt, als Catti-brie ihrem törichten Freund folgte, und Mithril-Halle verließ, hatte sie die Trauer um Wulfgar wirklich überwunden. Sie hatte alle Stadien der Trauer durchlaufen, und ihre Handlungen waren von Loyalität bestimmt. Sie hatte alles zu verlieren, und doch war sie für einen Freund allein in das wilde Unterreich gekommen.
Ich begann dies zu verstehen, als ich ihr in den Kerkern des Hauses Baenre auf einmal wieder in die Augen blickte. In diesem Moment verstand ich die wirkliche Bedeutung des Wortes Tapferkeit. Und ich fühlte zum ersten Mal, seit Wulfgar gestorben war, wieder den Wunsch zu leben. Ich hatte als der Jäger gekämpft, wild und ohne Gnade, aber erst, als ich meine treue Freundin wiedersah, bekam ich die Augen des Kriegers zurück. Resignation und Schicksalsergebenheit vergingen; und damit verging meine Überzeugung, daß alles wieder gut werden würde, wenn das Haus Baenre sein Opfer erhielt und mein Herz Lloth übergab.
In jenem Kerker gab der Heiltrank meinen zerschundenen Gliedern ihre Stärke zurück; der Anblick der grimmigen, entschlossenen Catti-brie gab meinem Herzen die Stärke zurück. In diesem Augenblick schwor ich mir, daß ich nicht aufgeben würde, daß ich gegen die übermächtigen Ereignisse ankämpfen wollte, daß ich kämpfen wollte, um zu siegen.
Als ich Catti-brie sah, erinnerte ich mich daran, was ich alles zu verlieren hatte.
Drizzt Do'Urden
Ich beobachtete die Vorbereitungen, die in Mithril-Halle getroffen wurden. Vorbereitungen für den Krieg, denn obgleich wir - insbesondere Catti-brie - dem Hause Baenre in Menoberranzan eine schmerzhafte Niederlage bereitet hatten, zweifelte keiner von uns daran, daß die Dunkelelfen erneut angreifen würden. Vor allem war Oberin Baenre höchstwahrscheinlich äußerst verärgert, und da ich meine Jugend in Menzoberranzan verbracht hatte, wußte ich, daß es keine gute Sache war sich die Erste Oberin Mutter zum Feind zu machen.
Dennoch gefiel mir, was ich hier in der Zwergenfeste sah. Am meisten und vor allem genoß ich den Anblick von Bruenor Heldenhammer.
Bruenor! Mein liebster Freund. Der Zwerg, an dessen Seite ich seit meinen Tragen im Eiswindtal gefochten hatte - Tage, die jetzt schon so lange zurückzuliegen schienen! Ich hatte befürchtet, daß Bruenors Geist auf immer gebrochen worden war, als Wulfgar fiel, daß das Feuer das diesen starrköpfigsten aller Zwerge bei seinem Unternehmen, sein verlorenes Heimatland wieder in Besitz zu nehmen, über scheinbar unüberwindliche Hindernisse hinweggeführt hatte, auf ewig verloschen war. Aber dem war nicht so, und das konnte ich in diesen Tagen der Vorbereitungen deutlich erkennen. Bruenors körperliche Narben waren jetzt tiefer - er hatte sein linkes Auge verloren, und eine bläuliche Linie lief von der Stirn bis zum Kieferknochen -, aber die Flammen seines Geistes waren neu entfacht und loderten hell hinter seinem gesunden Auge.
Bruenor leitete die Vorbereitungen, von der Genehmigung der Befestigungsbauten, die in den untersten Tunneln errichtet wurden, bis hin zum Aussenden von Boten zu den Nachbarsiedlungen, die nach Verbündeten suchen sollten. Er bat bei solchen Entscheidungen nicht um Hilfe, und er brauchte auch keine, denn er war Bruenor, der Achte König von Mithril-Halle, ein Veteran zahlreicher Abenteuer, ein Zwerg, der sich seinen Titel verdient hatte.
Jetzt war seine Trauer verschwunden; zur Freude seiner Freunde und Untertanen war er wieder ein König. „Laßt die verdammten Drow nur kommen!“ grollte er häufig, und wenn ich anwesend war, nickte er jedesmal in meine Richtung, als wollte er mich erinnern, daß er damit keine persönliche Beleidigung im Sinn hatte.
Was war es, fragte ich mich, das den trauernden Zwerg aus seiner Verzweiflung herausgeführt hatte? Und es war nicht nur Bruenor alleine; überall um mich herrschte aufgeregte Spannung, bei Catti-brie und selbst Regis, dem Halbling, der mehr dafür bekannt war, sich auf ein Mittagessen vorzubereiten denn auf einen Krieg. Auch ich selbst spürte es. Jene prickelnde Vorahnung, jene Kameradschaft, die mich und all die anderen dazu brachte, uns gegenseitig auf den Rücken zu schlagen, selbst die banalsten Erinnerungen der Verteidigungsanlagen zu loben und gemeinsam unsere Stimmen zum Jubel zu erheben, wann immer gute Nachrichten verkündet wurden.
Was war es? Es war mehr als nur Furcht, mehr als die Dankbarkeit für das, was wir besaßen, jetzt, da uns bewußt wurde, daß es uns genommen werden könnte. Damals, in jener Zeit der Euphorie und der hektischen Vorbereitungen, verstand ich es nicht. Jetzt, in der Rückschau, ist es leicht zu erkennen.
Es war Hoffnung.
Kein Gefühl kann wichtiger sein. Ob als ein einzelner oder gemeinsam, wir müssen darauf hoffen, daß die Zukunft besser wird als die Vergangenheit, daß unsere Nachkommen und die ihren nach ihnen einer idealen Gesellschaft ein wenig näher kommen, wie auch immer diese unserer Ansicht nach aussehen mag. Gewiß sind die Vorstellungen eines kriegerischen Barbaren anders als das Ideal, das sich ein friedlicher Bauer ausmalt. Und ein Zwerg würde nicht danach streben, in einer Welt zu leben, die dem Ideal eines Elfen entspräche! Aber die Hoffnung selbst unterscheidet sich nicht so sehr. Und gerade in Zeiten, in denen wir das Gefühl haben, daß wir etwas zu jenem endgültigen Ziel beitragen, so wie es in Mithril-Halle war, als wir glaubten, daß die Schlacht mit Menzoberranzan kurz bevorstand - und daß wir die Dunkelelfen besiegen und damit ein für allemal die Bedrohung durch die Stadt des Unterreiches beenden würden -, gerade in solchen Zeiten empfinden wir wahre Hochstimmung.
Hoffnung ist der Schlüssel. Die Zukunft wird besser als die Vergangenheit oder die Gegenwart. Ohne diesen Glauben gibt es nur ein schlaffes, letztlich leeres Abmühen in der Gegenwart, wie in der Gesellschaft der Drow, oder aber simple Verzweiflung, durch die wir unsere Lebenszeit mit Warten auf den Tod verschwenden.
Bruenor hatte eine Aufgabe gefunden - wir alle hatten dies -, und niemals war ich lebendiger als in jenen Tagen der Vorbereitung in Mithril-Halle.
Drizzt Do'Urden
Später nannten es die Barden der Reiche stets die Zeit der Unruhe, die Zeit, als die Götter aus den Himmeln geworfen wurden und ihre Avatare unter den Sterblichen wandelten. Es war die Zeit, da die Tafeln des Schicksals gestohlen worden waren und so der Zorn Aos, des Oberherren aller Götter, geweckt wurde. Als die Magie unzuverlässig wurde und daraufhin gesellschaftliche und religiöse Hierarchien, die sooft auf magischer Stärke errichtet sind, ins Chaos stürzten.
Ich habe viele Berichte von fanatischen Priestern über ihre Begegnungen mit den jeweiligen Avataren gehört, wilde Geschichten von Männern und Frauen, die behaupteten, ihre Gottheiten erblickt zu haben. Viele andere haben sich in dieser wirren Zeit einer Religion angeschlossen, wie verdreht sie auch sein mochte, nachdem sie angeblich das Licht und die Wahrheit erblickt hatten.
Ich bezweifle die Behauptungen nicht und würde die Wahrhaftigkeit ihrer Begegnungen niemals öffentlich in Frage stellen. Ich bin froh für jene, die inmitten des Chaos eine Bereicherung ihres Lebens finden konnten; ich freue mich für jeden, der durch geistige Führung zur Zufriedenheit findet.
Aber was ist mit dem Glauben?
Was ist mit Treue und Loyalität? Mit vollständigem Vertrauen? Glaube wird nicht durch faßbare Beweise erzeugt. Er kommt aus dem Herzen und der Seele. Wenn jemand den Beweis für die Existenz eines Gottes benötigt, dann wird dadurch die Essenz der geistigen Natur herabgewürdigt zur reinen Sinnlichkeit, und wir haben damit das Heilige auf das Logische reduziert.
Ich habe das Einhorn berührt, das so selten und kostbar ist, das Symbol der Göttin Mielikki, die mein Herz und meine Seele gefangenhält. Dies geschah, bevor jene Zeit der Unruhe ausbrach, und doch könnte ich, würde ich die Geisteshaltung jener teilen, die behaupten, Avatare gesehen zu haben, dasselbe von mir sagen. Ich könnte sagen, daß ich Mielikki berührt habe, daß sie mir in einem magischen Hain in der Nähe des Toten-Ork-Passes erschienen ist.
Das Einhorn war Mielikki und doch auch nicht, so wie der Sonnenaufgang, die Jahreszeiten Mielikki sind, so wie die Vögel und die Eichhörnchen und die Stärke eine Baumes, der die Geburt und den Tod von Jahrhunderten erlebt hat, Mielikki sind. Wie die Blätter, die im Herbstwind treiben, und der Schnee, der sich hoch in kalten Bergtälern auftürmt, Mielikki sind. Und der Geruch einer frischen Nacht, das Glänzen des Sternenhimmels und das Heulen eines fernen Wolfes.
Nein, ich werde nicht offen mit jemandem streiten, der behauptet, einen Avatar gesehen zu haben, weil solche Leute nicht verstehen werden, daß die bloße Gegenwart einer derartigen Erscheinung den ganzen Sinn und Wert des Glaubens untergräbt. Denn wenn die wahren Götter wirklich so greifbar und zugänglich sein sollten, dann wären wir nicht länger unabhängige Kreaturen, die auf dem Weg zur Wahrheit sind, sondern nur eine gedankenlose Herde Schafe ohne die Essenz des Glaubens, die der Führung eines Hirten und seiner Hund bedürfen.
Diese Führung existiert, das weiß ich. Nicht in einer so greifbaren Form, sondern in dem, was wir davon wissen, gut und gerecht zu sein. Es sind unsere Reaktionen auf die Taten anderer, die uns den Wert unserer eigenen Handlungen zeigen, und wenn wir so tief gesunken sind, daß wir einen Avatar brauchen, eine unleugbare Manifestation eines Gottes, um uns unseren Weg zu zeigen, dann sind wir in der Tat bedauernswerte Kreaturen. Die Zeit der Unruhe? Ja. Und um so mehr wenn wir an Avatare glauben, denn die Wahrheit ist unteilbar und kann ihrem Wesen nach nicht so viele unterschiedliche und sogar gegensätzliche Manifestationen dulden.
Das Einhorn war nicht Mielikki, und doch war es sie, denn ich habe Mielikki berührt. Nicht als Avatar oder als Einhorn, sondern als eine Art und Weise, meinen Platz in der Welt zu sehen. Mielikki ist mein Herz. Ich folge ihren Regeln, weil es dieselben Regeln sind, die ich selbst aufstellen würde, wenn ich meinem eigenen Gewissen folgen würde. Ich folge Mielikki, weil sie das repräsentiert, was ich Wahrheit nenne.
Das gleiche trifft auf die meisten Anhänger der meisten Götter der Reiche zu, und wenn wir das Pantheon genauer betrachten, so würden wir feststellen, daß die Regeln der „guten“ Götter sich nicht sonderlich voneinander unterscheiden; es sind nur die weltlichen Interpretationen dieser Regeln, die von Religion zu Religion voneinander abweichen.
Was die anderen Götter betrifft, die Gottheiten des Streites und des Chaos, so wie Lloth, die Spinnenkönigin, welche die Herzen jener Priesterinnen beherrscht, die Menzoberranzan regieren ...
Sie sind nicht der Erwähnung wert. Bei ihnen findet sich keine Wahrheit, sondern nur weltlicher Lohn, und jede Religion, die auf solchen Prinzipien beruht, ist in Wirklichkeit nicht mehr als praktische Hemmungslosigkeit und in keiner Weise ein Hort der Spiritualität. Nach weltlichen Maßstab sind die Priesterinnen der Spinnenkönigin außerordentlich bemerkenswert; in spirituellem Sinn hingegen sind sie völlig leer. Und somit ist ihr Leben ohne Liebe und Freude.
Also erzählt mir nichts von Avataren. Zeigt mir nicht eure Beweise dafür, daß euer Gott der einzig wahre ist. Ich gestehe euch euren Glauben ohne Fragen und ohne Urteil zu, aber wenn ihr mir das zugesteht, was ich in meinem Herzen liegt, dann ist ein solch greifbarer Beweis unnötig.
Drizzt Do'Urden
Wie sehr es mich drängte, zu Catti-brie zu gehen, nachdem ich erkannt hatte, wie gefährlich ihr Schwert war! Wie sehr ich an ihrer Seite sein und sie beschützen wollte! Schließlich hatte der Gegenstand sie beherrscht und enthielt eine mächtige und offensichtlich intelligente Magie.
Catti-brie wollte mich an ihrer Seite – wer würde sich nicht die stützende Schulter eines Freundes wünschen, wenn ein solcher Kampf drohte? -, und doch wollte sie mich zugleich nicht dort haben, konnte es nicht, denn sie wußte, daß sie diese Schlacht alleine austragen mußte.
Ich mußte ihren Entschluß respektieren, und in jenen Tagen, als die Zeit der Unruhe zu Ende ging und die Magie die Welt wieder zur Ruhe kam, mußte ich lernen, daß manchmal die schwersten Schlachten jene sind, die man nicht ausfechten darf.
Ich lernte damals, warum Mütter und Väter oft so resigniert aussehen. Welchen Schmerz mußte es für Eltern in Silbrigmond bedeuten, wenn ihr Sprößling ihnen sagte, daß er kein Kind mehr sei und beschlossen habe, nach Westen aufzubrechen, nach Tiefwasser, um auf Abenteuerfahrt an der Schwertküste zu gehen. Alles in diesem Vater oder dieser Mutter will „Bleib!“ ausrufen. Jeder Instinkt in ihm oder ihr will das Kind umarmen, an sich pressen und für alle Zeiten beschützen. Und doch sind diese Instinkte falsch.
Es gibt keinen größeren Stich ins Herz, als die Kämpfe jener zu beobachten, die man liebt, und zugleich zu wissen, daß es diese Widrigkeiten sind, durch die die betreffende Person wachsen wird und alle Möglichkeiten ihrer Existenz ergründet. Zu viele Diebe in den Reichen glauben, daß die Formel für Glück in einer unbewachten Schatzkiste liegt. Zu viele Zauberer versuchen, die langen Jahre des Lernens zu umgehen, die für wahre Macht erforderlich sind. Sie finden einen Zauber oder ein Pergament oder einen magischen Gegenstand, der weit jenseits ihres Verständnisses liegt, und dennoch versuchen sie ihn zu benutzen, nur um von seiner mächtigen Magie verschlungen zu werden. Zu viele Priester in den Reichen - und viele religiöse Sekten im allgemeinen - verlangen von sich selbst und ihren Gemeinden einzig demütige Unterwürfigkeit.
Sie alle sind dazu verdammt, bei den wahren Prüfungen zu versagen. Es fehlt eine Zutat beim Stolpern über einen unbewachten Schatz; es ist ein Element nicht vorhanden, wenn ein geringerer Zauberer seine Hände auf den Stab eines Erzmagiers legt; eine bestimmte Sache wird bei demütiger Diensteifrigkeit außer acht gelassen.
Das Gefühl, etwas geleistet zu haben.
Es ist bei jedem denkenden Wesen der wichtigste Bestandteil in der Formel für Glück. Dies ist das Element, das Selbstvertrauen aufbaut und es uns erlaubt, uns an andere, größere Aufgaben zu wagen. Dies ist es, was jedem erlaubt, daran zu glauben, daß im Leben selbst ein Wert liegt, was uns ein Gefühl der Bestimmung gibt, wenn wir mit den unbeantwortet Fragen des Lebens konfrontiert werden.
So war es mit Catti-brie und ihrem Schwert. Dieser Kampf war an sie herangetragen worden, und sie hatte sich entschlossen, ihn auszufechten. Wäre ich meinen Beschützerinstinkten gefolgt, so hätte ich mich geweigert, ihr bei dieser Aufgabe zu helfen. Meine Beschützerinstinkte sagten mir, ich sollte zu Bruenor gehen, der sicher angeordnet hätte, das intelligente Schwert zu zerstören. Aber dadurch hätte ich in Wirklichkeit dabei versagt, ihr zu vertrauen, dabei versagt, Catti-bries individuelle Bedürfnisse und ihre selbstgewählte Bestimmung ernst zu nehmen, und damit hätte ich ihr einen Teil ihre Freiheit geraubt. Das war Wulfgars einziger Fehler gewesen. In seiner Angst um die Frau, die er so innig liebte, hatte der tapfere und stolze Barbar versucht, sie in seiner schützenden Umarmung zu ersticken.
Ich glaube, er erkannte seinen Irrtum kurz vor seinem Tod. Ich glaube, in diesem Moment erinnerte er sich, was er an Catti-brie liebte: ihre Stärke und Unabhängigkeit. Welche Ironie doch darin liegt, daß unsere Instinkte oft genau das Gegenteil von dem fordern, was wir uns wirklich für jene wünschen, die wir lieben.
In der Situation, die ich vorhin geschildert habe, würden die Eltern ihr Kind nach Tiefwasser und an die Schwertküste gehen lassen müssen. Und so war es auch mit Catti-brie. Sie entschloß sich, ihr Schwert zu behalten, entschloß sich, seine intelligente Seite zu erforschen, auch wenn es ein großes Risiko für sie bedeuten sollte. Es war an ihr, diese Entscheidung zu treffen, und sobald sie eine Entscheidung gefällt hatte, mußte ich sie respektieren. In den folgenden Wochen, während sie ihren privaten Kampf austrug, sah ich nicht viel von ihr.
Aber ich dachte an sie und sorgte mich in jedem wachen Moment um sie, und sogar in meinen Träumen.
Drizzt Do'Urden
Als wir, sämtliche Verteidiger von Mithril-Halle und seiner näheren Umgebung, uns dem Ende der Vorbereitungen auf den Angriff der Drow näherten, bemerkte ich etwas wirklich Erstaunliches und wahrhaft Herzerwärmendes.
Ich bin ein Drow. Meine Haut beweist, daß ich anders bin. Die Ebenholzfärbung zeigt deutlich und unbestreitbar meine Abstammung an. Und doch wurde mir kein einziger böser Blick zugeworfen. Weder die Harpells noch die Langreiter sahen mich ablehnend an, und selbst von dein aufbrausenden Berkthgar und seinem Kriegervolk kam kein zorniges Wort. Und kein einziger Zwerg, nicht einmal General Dagna, der niemanden mochte, der kein Zwerg war, deutete mit einem anklagenden Finger auf mich.
Wir wußten nicht, warum die Drow kamen, ob es meinetwegen war oder wegen der Schätze, die der Zwergenbau versprach. Was auch immer der Grund sein mochte, für die Verteidiger war ich ohne Schuld daran. Wie wunderbar dieses Gefühl für mich war, der ich so viele Monate die Bürde selbstauferlegter Schuld getragen hatte; Schuld an dem vorangegangenen Überfall, Schuld an Wulfgars Tod, Schuld daran, daß Catti-brie durch ihre Freundschaft für mich dazu gezwungen gewesen war, mir bis nach Menzoberranzan zu folgen.
Ich hatte dieses schwere Joch getragen, und doch machte mich niemand von jenen in meiner Umgebung, die ebensoviel zu verlieren hatten wie ich selbst, für die Vorfälle verantwortlich.
Ihr könnt nicht ermessen, wie außergewöhnlich diese Erkenntnis für jemanden mit meiner Vergangenheit war. Es war eine Geste ehrlicher, echter Freundschaft, und es wurde noch bedeutungsvoller dadurch, daß es eine unbewußte Geste war, die ohne Absicht oder Nachdenken ausgeführt wurde. In meiner Vergangenheit hatten meine „Freunde“ solche Gesten allzu häufig gemacht, als wollten sie damit etwas beweisen, mehr sich selbst gegenüber als mir. Sie fühlten sich selber besser weil sie in der Lage waren, über offenkundige Unterschiede wie die Farbe meiner Haut hinwegzusehen. Guenhwyvar hatte dies nie getan. Bruenor hatte es nie getan. Und auch Catti-brie und Regis nicht. Wulfgar hatte mich zu Anfang offen und ohne Entschuldigung verachtet, nur weil ich ein Drow war. Sie waren ehrlich, und daher waren sie immer meine wahren Freunde gewesen. Aber in diesen Tagen der Vorbereitungen bemerkte ich, wie sich der Kreis der Freundschaft um ein Vielfaches erweiterte. Ich konnte erkennen, daß die Zwerge von Mithril-Halle, die Männer und Frauen von Siedelstein und viele, viele andere mich wirklich akzeptierten.
Dies ist die wahre Natur der Freundschaft. Sie tritt zutage, wenn sie ehrlich ist und nicht mehr nur sich selbst dienlich wird. Und so erkannte Drizzt Do'Urden in jenen Tagen endgültig, daß er nicht nach Menzoberranzan gehörte.
Ich warf das Joch der Schuld ab. Ich lächelte.
Drizzt Do'Urden
Sie kamen als Armee, und doch waren sie dies nicht. Achttausend Dunkelelfen und eine noch größere Zahl von humanoiden Sklaven, eine mächtige und massive Streitmacht, wogten auf Mithril-Halle zu.
Die Bezeichnung trifft zu, wenn man die bloße Menge und Stärke berücksichtigt, und doch enthalten „Armee“ und „Streitmacht“ noch etwas anderes, ein Gefühl des Zusammenhalts und eines gemeinsamen Zieles. Mit Gewißheit gehören die Drow zu den besten Kriegern der Reiche. Sie werden von Jugend an für den Kampf allein oder in Gruppen, ausgebildet, und gewiß ist das gemeinsame Ziel eindeutig, wenn es sich um einen Krieg mit einer anderen Rasse handelt, wenn es darum geht, als Drow die Zwerge zu bekämpfen. Doch obgleich ihre Taktik perfekt ist und Gruppen im Einklang miteinander kämpfen und sich gegenseitig unterstützen, ist die Zusammengehörigkeit in einem Drowtrupp nur oberflächlich.
Nur wenige Dunkelelfen in Lloths Armee würden ihr Leben geben, um einen anderen zu retten, sofern sie sich nicht sicher sein konnten, daß ihnen ihr Opfer im Jenseits einen Ehrenplatz an der Seite der Spinnenkönigin garantierte. Nur ein Fanatiker unter den Drow wäre bereit, einen Treffer hinzunehmen, wie gering er auch sein mochte, um einen anderen zu schützen, und er würde dies auch nur tun, wenn es seinen eigenen Interessen förderlich wäre. Die Drow schreien in ihren Kampfrufen, daß sie zum Ruhme Lloths kämpfen, doch in Wahrheit suchen sie alle nur, einen Teil dieses Ruhmes für sich selbst zu erlangen.
Persönlicher Vorteil war immer das Hauptinteresse der Dunkelelfen.
Das war der Unterschied zwischen den Verteidigern von Mithril-Halle
und jenen, die gekommen waren, sie zu erobern. Dies war die einzige Hoffnung,
die unsere Seite hatte, als wir mit einer solch schrecklichen Übermacht
zudem hervorragend ausgebildeter Krieger konfrontiert waren.
Wenn ein einzelner Zwerg zu einem Gefecht hinzukam, in dem seine Kameraden
unterlegen waren, so brüllte er auf und stürzte sich kopfüber
in den Kampf, wie sehr die Gegner auch in der Übermacht sein mochten.
Doch wenn wir eine Gruppe der Drow in einem Hinterhalt erwischen konnten,
eine Patrouille vielleicht, so würden die unterstützenden Gruppen,
die ihre unglücklichen Kameraden flankierten, nicht in den Kampf eingreifen,
solange sie nicht sicher waren, daß sie den Sieg davontragen konnten.
Wir hatten ein wahrhaftiges, gemeinschaftliches Ziel. Wir verstanden, was Zusammengehörigkeit bedeutet, und kämpften für ein höheres, von allen geteiltes Prinzip. Und wir verstanden und akzeptierten, daß jedes Opfer, das wir bringen mochten, dem größeren Ziel dienen würde. Darin unterschieden wir uns wesentlich von unseren Gegnern.
Es gibt eine Kammern in Mithril-Halle - in Wahrheit sind es sogar viele Kammern -, in der die Helden von Kriegen und vergangenen Schlachten geehrt werden. Wulfgars Hammer befindet sich dort, und auch der Bogen – der Bogen eines Elfen -, den Catti-brie nun wieder benutzte, hing einmal an dieser Wand. Obgleich sie den Bogen bereits seit Jahren geführt und ein gut Teil zu seiner Legende beitragen hat, bezeichnet Catti-brie ihn noch immer als „Anariels Bogen“ und erweist damit dem schon lange verstorbenen Elfen Ehre. Wenn der Bogen einst in späteren Jahrhunderten erneut von einem Freund der Sippe Heldenhammer benutzt werden wird, so wird man ihn „den Bogen von Catti-brie, die ihn nach Anariel führte“ nennen.
Es gibt einen anderen Ort in Mithril-Halle, die Halle der Könige, in der die Büsten der Führer der Sippe Heldenhammer, die acht Könige, riesig in Stein gehauen und für die Ewigkeit aufgestellt sind.
Die Drow haben keine solchen Monumente. Meine Mutter Malice, sprach niemals von der vorangegangenen Oberin Mutter des Hauses Do‘Urden, wahrscheinlich, weil sie Anteil an deren Tod gehabt hatte. In der Akademie gibt es keine Ehrenplatten für frühere Meisterinnen oder Meister. In der Tat, jetzt, da ich darüber nachsinne, erkenne ich, daß die einzigen Monumente in Menzoberranzan die Statuen jener sind, die von Baenre gestraft wurden, jener die von Vendes´ tückischer Peitsche getroffen wurden und deren Haut sich in Ebenholz verwandelt hat. Sie wurden als Beispiel für das, was jenen blüht, die den Gehorsam verweigern, auf dem Plateau von Tierbreche außerhalb der Akademie aufgestellt.
Dies war der Unterschied zwischen den Verteidigern von Mithril-Halle und jenen, die kamen, sie zu erobern. Dies war unsere einzige Hoffnung.
Drizzt Do'Urden
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